Als Denkmaldetektiv in der Marienkirche

Ein Projekt der Gesellschaft Historisches Berlin macht Grundschüler zu kleinen Architekten und Restaurateuren

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Schule und Denkmal - unter diesem Motto bietet die Gesellschaft Historisches Berlin ein stadtweit einmaliges Projekt an.

Erwartungsvoll stehen rund 40 Kinder vor dem Gotteshaus an der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte, das optisch so gar nicht zu seinen modernen Nachbarn passt. Sie blicken nach oben zum Turm der Marienkirche, sortieren ihre Schreibutensilien oder kramen nach den mitgebrachten Zollstöcken. »Ich bin gespannt, wie es da drinnen aussieht«, sagt der zehnjährige Hussein.

So ein paar Dinge weiß er aber schon über die älteste noch sakral genutzte Pfarrkirche Berlins: Dass die Grundmauern beispielsweise im 13. Jahrhundert aus Feldsteinen errichtet wurden und der gesamte Bau auf der ursprünglichen Höhe des mittelalterlichen Bodenniveaus liegt. »Der Eingang ist viel tiefer als der Bürgersteig«, stellt der Schüler fest. Das hatte ihm und seinen Klassenkameraden bereits die Architektin Susanne Keller erklärt. Gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft Historisches Berlin, Gerhard Hoya und weiteren Mitgliedern des Vereins, führt sie gerade das Projekt »Schule und Denkmal« an der Heinrich-Seidel-Grundschule im Bezirk Mitte durch. Ziel ist es, Grundschüler praxisnah an die Themen Architektur und Denkmalschutz heranzuführen. Dazu gibt es jeweils einen theoretischen und einen praktischen Teil sowie eine Auswertung. Im Mittelpunkt steht dieses Mal die Marienkirche.

»Wie hoch schätzt ihr denn den Turm«, fragt Susanne Keller in die Runde. Die Kinder rufen ihr Zahlen zu, die weit unter dem wahren Ergebnis liegen. Als sie dann »89,29 Meter« sagt, staunen die Schüler und notieren die Zahl.

In den folgenden eineinhalb Stunden schreiben oder zeichnen sie noch viele Details und Fakten auf ihre Zettel. Schließlich sind sie in dem berühmten Gotteshaus als Denkmaldetektive und Spurensicherer unterwegs. Als Zweierteams gehen sie den Dingen als Reporter und Planer, Bauhistoriker oder Aufmesser auf den Grund.

Ayah und ihr Partner Youssef erfahren in dem Lernmaterial, dass es im Mittelalter, als die Marienkirche erbaut wurde, noch keine Maßeinheiten gab. »Die Menschen kannten nur die Körpermaße wie Fuß oder Elle«, liest der Zwölfjährige aus dem Papier vor. Viel Spaß haben die beiden, ihre eigenen Körpermaße mit Lineal, Zollstock oder Maßband zu bestimmen. Spannend wird es, als sie beim Abstandmessen zwischen zwei Säulen auf ganz unterschiedliche Schrittmaße kommen.

Beeindruckt sind die Schüler besonders von der Kanzel, dem Altar und der Orgel. Sie wollen wissen, aus wie viel Pfeifen das Instrument besteht und fragen, ob die Verzierungen aus echtem Gold sind.

Während die kleinen Bauhistoriker den Ausführungen von Horst-Peter Serwene von der Gesellschaft Historisches Berlin lauschen, der ihnen Baustile, Materialien und Gewölbeformen erklärt, sind die Reporter draußen unterwegs.

Zu ihren Aufgaben gehört es, über Lösungsvorschläge für die Problembereiche der Kirche zu berichten und einen eigenen Strategieplan zu entwickeln. Architektin Susanne Keller erklärt ihnen zwei Varianten, bei denen es darum geht, die gotische Wandmalerei »Totentanz« auch für die Zukunft zu sichern. Denn das Bild ist in einem schlechten Zustand: stark verblasst durch Nässe und Luft. Bei dem ersten Vorschlag geht es um eine neue Glaswand, die näher an das 22,6 Meter lange Wandbild herangeführt wird. Die zweite Idee zielt auf einen neu zu bauenden Eingang ab - damit die jetzige Tür der Turmhalle künftig geschlossen bleiben kann. »Noch ist darüber aber noch nicht endgültig entschieden«, macht die Architektin deutlich. Die Kinder schreiben fleißig mit.

In den nächsten drei Wochen werden die Ergebnisse im Unterricht ausgewertet. »Wir wollen sie dann präsentieren, Plakate entwerfen und Vorträge halten«, erklärt Kunstlehrerin Ilona Albert.

Infos der Gesellschaft Historisches Berlin unter www.GHB-online.de

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