Gesundmacher aus dem fremden Darm

Die Mikrobiomtransplantation kann die Körperabwehrkräfte eines Patienten stärken

  • Birgit Vey
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Vorstellung ist nicht appetitlich, aber das Ergebnis heilsam: Die Übertragung von Darmbakterien kann Patienten auf den Weg der Genesung bringen. Wissenschaftler erforschen gerade die Chancen.

Der Mensch ist nicht allein: Von 100 Billionen Bakterien ist er laut US-Gesundheitsbehörde bevölkert. Wissenschaftler sind inzwischen in der Lage, die Darmflora eines Gesunden in einen Patienten zu übertragen - in Fachkreisen Mikrobiomtransplantation genannt. Wobei mit Mikrobiom die Gesamtheit aller Darmbakterien gemeint ist. Das Ganze hatte früher einen eher unappetitlichen Namen: Fäkalien- oder Stuhltransfer.

Aus therapeutischer Sicht steht fest, dass Darmbakterien zu Unrecht nur als ekelerregend gelten. Vielmehr können sie Gesundmacher sein und wichtige Aufgaben übernehmen, die weit über die Verdauung hinausgehen. Sie stellen Vitamine her, helfen bei der Entgiftung und spielen eine große Rolle bei der Körperabwehr. »Der Darm hat den größten Einfluss auf ein intaktes Immunzentrum des Menschen«, so Julia-Stefanie Frick vom Tübinger Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene.

Frick setzt die Mikrobiom-Transplantation gegen das Bakterium Clostridium diffizile ein. Dieser Keim verursacht eine Darmerkrankung mit schwerem Durchfall, Gewichtsverlust und äußerst schmerzhaften Entzündungen. Mit Antibiotika versucht man, das Bakterium zu bekämpfen. Doch es gibt Erkrankte, bei denen Antibiotika zwar viele Bakterien abtöten - den »bösen Erreger« aber nicht. Dann überwuchert Clostridium diffizile die Darmflora. »Mit der neuen Therapie können wir wieder die Vielfalt der Bakterien herstellen und den krank machenden Erreger zurückdrängen«, erläutert Frick. Die Heilungsrate liege bei 90 Prozent.

Pioniere auf diesem Gebiet waren die Australier, mittlerweile forscht man unter anderem in den USA und Deutschland. »Ein ganz heißes Thema«, betont der Heidelberger Bioinformatiker Peer Bork. Er zählt zu den führenden Köpfen bei den Mikrobiomexperten. »Das ist ein neues Gebiet. Denn bislang wussten wir nicht, was im Darm enthalten ist«, sagt Bork.

Etwa 1000 Bakterienarten tummeln sich im Darm - wobei der Mix bei jedem anders aussehen kann. Bis zu 400 Arten kann Bork mit seinen Methoden bei einer Person aufspüren, indem er bakterielle Erbmaterial-Schnipsel aus Stuhlproben zusammenfügt. Bakterienarten und Anzahl ergeben ein individuelles »Darmflora-Bild«, das mit dem anderer Menschen verglichen werden kann.

Bork untersuchte Proben aus Europa, Asien und den USA. Er kam zum Ergebnis, dass sich die Darmbakterien weltweit in drei Gruppen bündeln lassen. »Wir haben damit ein Basisverständnis, die ersten Grundinformationen. In weiteren Forschungen müssen wir klären, welche Bakterientypen sich übertragen lassen und welche nicht«, schränkt Bork jedoch ein. Auch sei er längst nicht sicher, bei welchen Krankheitsfällen diese Erkenntnisse einsetzbar sein werden.

Andere Studien zeigten, dass sich die Darmflora Übergewichtiger und Normalgewichtiger unterscheidet. Weitere Forschungsergebnisse brachten zutage, dass durch Darmbakterien Zellen oder Stoffe produziert werden, die zur Entstehung von Multipler Sklerose, Diabetes Mellitus, Asthma und Autismus beitragen können.

Doch beide Wissenschaftler betrachten diese Ansätze mit Vorsicht. »Vieles ist noch Spekulation«, erklärt Bork. Außerdem seien die komplexen Prozesse längst noch nicht vollständig aufgedeckt. Bork ist zudem bei manchen Ansätzen skeptisch, etwa dass der Bakterientransfer bei Diabetes mellitus funktioniere. Seine Tübinger Kollegin Frick ist überzeugt, dass bei einigen Krankheiten die genetische Vorbelastung entscheidend sei: »Da ist vieles noch nicht ausgereift. Es kann Jahre dauern bis klare Resultate vorliegen.« epd

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