nd-aktuell.de / 27.06.2014 / Berlin / Seite 9

Von Lampedusa in die Ohlauer

Wer sind die Flüchtlinge, die in der Schule so verzweifelt um einen Aufenthalt kämpfen? nd stellt zwei von ihnen in einem Doppelporträt vor

Astrid Schäfers

Im strömenden Regen läuft Ashram mit seinen Krücken neben Saleh eine der Querstraßen der Reichenberger Straße in Kreuzberg entlang. Den ganzen Tag haben sie bereits auf der Straße verbracht. Denn am frühen Morgen des vergangenen Dienstags räumte die Polizei mit Hilfe des Kreuzberger Bezirksamtes die seit November 2012 von Flüchtlingen bewohnte Schule in der Ohlauer Straße. Etwas 50 Flüchtlinge weigerten sich, das Gebäude zu verlassen und verschanzten sich auf dem Dach. Sie waren auch am Donnerstag noch in dem Gebäude.

Ashram und Saleh verließen dagegen die Schule. Jetzt sind sie vollkommen aufgeschmissen, müde und wissen nicht wohin. Wir setzen uns auf eine Bank einer geschlossenen Kneipe. Polizeiwagen rasen auf dem Kopfsteinpflaster der Reichenberger Straße vorbei. »Ich war Soldat unter Gaddafi«, erzählt Ashram, der seit einem Jahr in Deutschland ist. Da sein Bein während der Kämpfe in Libyen verletzt wurde, zahlte ihm der libysche Staat einen Flug nach Deutschland und er bekam ein Visum, weil er verletzt war. »Ich wurde im Krankenhaus in der Blissestraße operiert« – er krempelt seine Hose hoch, um sein immer noch geschundenes Bein zu zeigen. Die libysche Botschaft habe ihm auch eine Wohnung organisiert, aber nach drei Monaten sei kein Geld mehr gekommen und er habe die Miete nicht mehr bezahlen können. »Daraufhin bin ich in die Schule in der Ohlauer Straße gegangen«, sagt er.

»Wir haben in der Ohlauer Straße in einem Zimmer gewohnt«, ergänzt sein Freund Saleh, der selber aus dem Tschad kommt. Die beiden unterhalten sich auf Arabisch, denn Saleh hat die letzten acht Jahre in Libyen in einer Zementfabrik gearbeitet. Auf die Frage, wie er in Libyen behandelt wurde, sagt er: »Ich habe gearbeitet und mein Geld bekommen.« Wenige Monate nach dem Sturz des Gaddafiregimes floh Saleh über Tunesien und die Insel Lampedusa nach Italien. »Die Situation in Italien war schlecht, deshalb kam ich nach Berlin. Ich mache auch seit mehreren Monaten einen Deutschkurs.« Saleh öffnet stolz seinen Rucksack und zeigt seine Lehrbücher. Nach einem Jahr in Berlin spricht er fast fließend Deutsch. »Morgen muss ich wieder in die Schule, aber ich weiß nicht, wo ich übernachten soll. Was sollen wir jetzt machen? Kannst Du uns helfen?« fragt er ratlos. Sein Gesicht sieht müde aus.

»Warum haben sie uns aus der Schule rausgeworfen?«, versucht sich Ashram auf Englisch wieder ins Gespräch einzubringen. »Die, die in der Schule wohnen, haben keine Papiere. Sie dürfen nicht arbeiten, deswegen haben sie auch keine Arbeit.« Seine linke Krücke fällt auf den Boden. Er hebt sie auf und kramt ein Papier mit einer Telefonnummer eines Rechtsanwaltes aus seiner Tasche. »Sollen wir jetzt Asyl beantragen oder werden wir dann abgeschoben?«

»Wir gehen jetzt erst einmal in der Schule unsere Sachen holen!«, unterbricht ihn Saleh. Fi madresa. Die Dunkelheit ist bereits eingebrochen, langsam wird es immer ungemütlicher draußen, obwohl es nur noch tröpfelt. »Wir können da nicht mehr rein. Sie lassen uns doch nie, die Polizisten«, sagt Ashram eindringlich. Gerne würden sie sich ein Zimmer suchen, aber mit welchem Geld?

Am nächsten Mittwochmorgen treffe ich Ashram und Saleh in einem überdachten Hauseingang. Die ganze Nacht haben sie an der Kreuzung Ohlauer/Reichenberger ausgeharrt. Hier suchen sie jetzt Zuflucht vor dem seit Stunden andauernden Regen. Sichtlich erschöpft sitzen sie auf dem Boden und schlürfen Kartoffelsuppe, die die Bewohner des Hauses für die Flüchtlinge zubereitet haben. Ashram dreht sich eine Zigarette. Das Bezirksamt habe inzwischen angekündigt, dass die Flüchtlinge, die »Hausausweise« bei sich hätten, die sie vor kurzem bei einer Registrierung der Bewohner des Hauses erhalten hatten, zur Emmauskirche kommen sollten. Diese Flüchtlinge könne das Bezirksamt in Heimen in Charlottenburg und Spandau unterbringen. Ashram fuchtelt mit seinem Zeigefinger in der Luft herum. Er werde auf keinen Fall dort hingehen. Denn er vertraue den Vorschlägen von den »Gouverners of Kreuzberg« nicht. Außerdem wolle er nicht in einem Heim. Zu groß ist die Angst, dass einem Heimplatz eine Abschiebung folgen würde, die ihm den Tod bringen könnte.