nd-aktuell.de / 27.06.2014 / Sport / Seite 19

Der blonde Engel gibt den Takt vor

Toni Kroos bestimmt das Spiel der deutschen Nationalmannschaft – und weckt damit Begehrlichkeiten

Alexander Ludewig
Der gebürtige Greifswalder Toni Kroos trumpft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien groß auf. Die Suche nach angemessener Wertschätzung könnte ihn nach dem Turnier nach Spanien führen.

Deutsche Fußballer spielen in der Geschichte des FC Barcelona eine durchaus prägende Rolle. Otto Maier, 1899 sogar Gründungsmitglied des stolzen Futbol Club, war der erste. Ihm folgte nur wenig später mit Udo Steinberg ein weiterer Stürmer. Und auch er hat einen festen Platz in der Vereinschronik: Am 13. Mai 1902 erzielte Steinberg im ersten Duell mit dem ewigen Rivalen Real Madrid die ersten beiden Tore zum 3:1-Sieg der Katalanen. Aber dennoch haben es in nunmehr fast 115 Jahren insgesamt gerade mal fünf Spieler ins Trikot der »Blaugrana« geschafft. Torwart Marc-André ter Stegen wird ab der kommenden Saison der sechste sein. In prägendster Erinnerung ist Bernd Schuster, der ab 1980 acht Jahre lang das Barça-Spiel mitbestimmte.

Möglicherweise könnte bald der nächste blonde Engel im Mittelfeld des FC Barcelona zaubern: Toni Kroos. Die WM ist ja bekanntlich auch ein Schaulaufen der Spieler. Hunderte Scouts sind im Auftrag der Fußballklubs in Brasilien unterwegs. Der Name Kroos schwirrte schon vor dem Turnier in den Managerköpfen der ganz großen Vereine: Real Madrid, Manchester United, Chelsea London. Das Interesse etlicher Topklubs am Mittelfeldspieler des FC Bayern München ist verbürgt. Nun steht auch der FC Barcelona auf der Liste der namhaften Interessenten – und das laut »Kicker« mit einem ganz konkreten Angebot. Dies ging zwar noch nicht direkt an Kroos’ Klub, aber in schriftlicher Form an seine Berateragentur »SportsTotal«.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, aber das Buhlen des FC Barcelona ist für jeden Spieler eine große Ehre. Denn der Klub reiht sich eben nicht in das teilweise planlose und wilde Wettbieten um Stars von Vereinen wie Real, Chelsea, Manchester City oder Paris St. Germain ein. Barça sucht und kauft meist gezielt. Denn spätestens seit Ende der 80er Jahre, als der ehemalige Spieler Johan Cruyff als Trainer ins Nou Camp zurückkehrte, wird alles der Philosophie des offensiven, ballbesitzorientierten Kurzpassspiels untergeordnet. Für Kroos scheint das Anforderungsprofil des FC Barcelona maßgeschneidert. Der 24-Jährige ist ein absolut mannschaftsdienlicher Spieler, in seiner Art ähnlich sympathisch bescheiden und zurückhaltend wie Xavi oder Andrés Iniesta – aber auch zielgerichtet und selbstbewusst auf dem Platz. »Ich weiß, dass ich prädestiniert dafür bin, einer Mannschaft Klarheit und Sicherheit zu geben«, sagte Kroos jüngst in Brasilien.

Ganz sicher werden auch die Verantwortlichen von Barça vorher schon über Kroos nachgedacht haben. Dass ihr Angebot gerade jetzt kommt, ist kein Zufall. Zum einen sagte Toni Kroos, dessen Vertrag beim FC Bayern noch bis 2015 läuft und den er trotz eines Münchner Angebots nicht verlängert hat, dass er sich erst nach der WM festlegen wolle. Die reizvolle Entscheidungshilfe aus Spanien kommt also gerade recht. Zum anderen weckt auch das Auftreten von Kroos auf dieser ganz großen Bühne Begehrlichkeiten. Er ist der Taktgeber der deutschen Nationalelf, bestimmt Rhythmus und Spiel.

Schon in der ersten Partie gegen Portugal hatte Kroos die meisten Ballkontakte, 97,5 Prozent seiner Pässe brachte er zum Mitspieler. Eine mehr als Barça-würdige Quote. Zudem lieferte er zwei Torvorlagen und gewann deutlich mehr Zweikämpfe als Sami Khedira. Im Spiel gegen Ghana unterstrich Kroos seine Torgefährlichkeit und kam zu drei Chancen. Noch bemerkenswerter: Mit 121 Ballkontakten war er noch präsenter als im ersten Spiel. Nur zum Vergleich: Philipp Lahm hatte von allen Offensiv- und Mittelfeldspielern mit 88 den zweitbesten Wert. Und auch gegen die kampfstarken Ghanaer gewann Kroos noch fast die Hälfte aller seiner Duelle.

Seine eigene Internetseite sollte Toni Kroos demnächst mal überarbeiten. Dort nennt er immer noch die Zehnerposition des Spielmachers als seine bevorzugte. Das Spiel gestaltet er immer noch: mit kurzen direkten Pässen, langen öffnenden Flugbällen, risikoreichen Anspielen in die Spitze oder, wenn nötig, auch Rückpässen. Kroos bestimmt das Tempo. Allerdings nicht mehr von der Zehn wie sein Vorbild Johan Micoud. Sondern aus der Defensivzentrale des Mittelfelds. »Man hat weiter hinten mehr Ballkontakte, da wird man automatisch präsenter und dominanter. Das ist das, was ich spielen will, und das spiele ich jetzt ja auch beim DFB«, beschrieb Kroos sein Lieblingsspiel.

Genau dies ist ein weiterer Grund, warum der FC Barcelona ihn so gern verpflichten möchte. Denn die WM ist nicht nur Sprungbrett, manch ein Stern beginnt dort auch endgültig zu sinken. So wie der von Xavier Hernández i Creus, kurz Xavi. Beim enttäuschenden WM-Aus der spanischen Weltmeister hinterließ er den unglücklichsten Eindruck. Nach dem 1:5 im Auftaktspiel gegen die Niederländer saß der 34-Jährige bei den restlichen zwei Partien nur noch auf der Bank. Zunehmendes Alter und abnehmende Leistungsfähigkeit machten Xavi schon in der gesamten Saison beim FC Barcelona zu schaffen. Mit ihm als zentrale Figur hatten die Katalanen den Klubfußball jahrelang beherrscht. Mit ihm war Barça zuletzt auf höchstem Niveau nicht mehr konkurrenzfähig. Es wird sogar schon vom Abschied der Legende gesprochen.

Da kommt der zehn Jahre jüngere Deutsche gerade recht. Kroos schätzt Xavi nicht nur: »Er ist einer der besten Spieler auf seiner Position, die es gibt und ist fast immer der spielbestimmende Akteur ohne großes Aufsehen oder Spektakel.« Sondern er hat neben Naturell und Passspiel noch mehr mit dem Xavi zu dessen besten Zeiten gemein: schnell und wendig elegante Lösungen selbst auf allerengstem Raum zu finden. Als Xavis Nachfolger könnte er in Barcelona die angemessene Wertschätzung finden, die ihm in München eben nicht entgegengebracht wird. Und wohlfühlen könnte sich der Küstenjunge Kroos dort auch. Es ist zwar nicht die Ostsee, aber immerhin das Mittelmeer.