nd-aktuell.de / 30.06.2014 / Politik / Seite 14

Die Pulsmesser in den Thüringer Wäldern

In 14 Messstationen sammeln Mitarbeiter der Landesforstanstalt Daten und Hinweise auf den Gesundheitszustand der Bäume

Andreas Göbel
Thüringens Wald leidet unter zu viel Stickstoff, der vor allem aus der Landwirtschaft kommt. Das zeigen Umweltdaten des Waldmonitorings, die Thüringenforst zusammenträgt.

Sondershausen. Der Arbeitsplatz von Klaus Spreng wirkt von Weitem wie ein Abenteuerspielplatz mitten im Wald. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das umzäunte Areal in der Nähe des gut 430 Meter hohen Bergs Possen bei Sondershausen als eine Ansammlung von rund 50 verschiedenen Gerätschaften. Spreng fühlt hier sozusagen den Puls des Waldes. 14 solcher Messstationen unterhält die Landesforstanstalt im Freistaat, um Umweltdaten und Hinweise auf den Gesundheitszustand des Waldes zu gewinnen. Dafür steigen in diesen Tagen auch Zapfenpflücker in die Baumwipfel. Sie entnehmen aus den Baumkronen Blatt- und Nadelproben.

Seit Jahren sammeln Forscher und Techniker kontinuierlich mit allerlei Geräten Informationen über Stress- und Umweltfaktoren: Von Niederschlagsmengen über die Schadstoffbelastung im Regenwasser bis hin zur Menge des Laubes im Herbst wird alles akribisch registriert und ausgewertet. Dabei können die Forscher den Bäumen sogar beim Wachsen zuschauen - ein sogenanntes Dendrometer macht es möglich.

»Normalerweise wird das Wachstum der Bäume einmal im Jahr gemessen«, erläutert Spreng. »Mit unseren Geräten können wir aber selbst die täglichen Veränderungen festhalten.« Das habe schon zu einigen neuen Erkenntnissen geführt - so etwa, dass entgegen der landläufigen Meinung die Bäume an manchen Standorten sogar im Winter leicht weiterwachsen. Selbst im Laufe eines Tages gebe es Schwankungen im Umfang des Baumes. Je nachdem, wie viel Flüssigkeit verdunste, könne der Durchmesser mittags ab- und abends zunehmen, erläutert Spreng.

Trotz moderner Technik: Besonders aufsehenerregend ist bei dieser Arbeit das dreiköpfige Kletterteam. Im Dienst der Wissenschaft erklimmen die Männer an den insgesamt 14 Messstationen einmal im Jahr die Wipfel, um Blätter zu ernten, die später im Labor etwa auf Krankheiten untersucht werden. Bevor das Kletterteam aus Gotha eingesetzt wurde, waren die Forscher auf rabiatere Methoden angewiesen. »Noch vor etwa zwanzig Jahren haben wir die Äste mit dem Gewehr aus der Krone geschossen«, erklärt die Leiterin des Umweltmonitorings beim Thüringenforst, Ines Chmara. »Die ausgebildeten Zapfenpflücker erledigen das aber deutlich besser.«

Die Ergebnisse dieser Forschungen seien begehrt, betont die Expertin. Außer den Forstämtern, Revieren und Umweltbehörden gebe es auch viele Privatleute, die Interesse daran hätten. Alle fünf bis zehn Jahre wird ein neuer Monitoring-Bericht veröffentlicht. Solange dauert es meist, bis neue, aussagekräftige Daten zusammenkommen. Nicht zu verwechseln ist diese Erhebung mit dem »Waldzustandsbericht«. Der wird jährlich veröffentlicht und beruht nur auf sichtbaren Veränderungen in ausgewählten Waldgebieten. Die wissenschaftlich fundiertere Variante liefert das mehr als 150 Seiten starke Monitoring-Ergebnis.

Beide Untersuchungen kommen aber zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen. »Eines der Hauptprobleme heutzutage ist die hohe Belastung mit Stickstoff«, erläutert Chmara. Der Stoff wirke wie Doping für die Bäume: »Die Bäume wachsen schnell und werden sehr schnell dick, allerdings fehlen die Nährstoffe.« Unter anderem würden deshalb die Wurzeln nicht richtig ausgebildet. »Ähnlich wie beim Menschen führt das irgendwann zum Kollaps.«

Besonders verheerend wirkten sich die vor allem aus der Landwirtschaft stammenden Düngerreste in Kombination mit langen Hitzeperioden aus, die die Forscher ebenfalls belegen können. »Im Prinzip messen wir die Wirklichkeit hinter dem, was Klimamodelle prognostizieren«, betont Chmara. Und die seien beunruhigend. Doch es gebe auch eine positive Nachricht: Zumindest die Schwefelbelastung in den Böden, die als Hauptursache für das Waldsterben gilt, ist nach Angaben der Fachleute in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. dpa/nd