Friede, Freude, Eierkuchen

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Es ist ein verbrauchter und vielfach missbrauchter Satz, in dem doch viel Wahrheit steckt: Alles Große begann einmal im Kleinen, Unspektakulären - und mit einer Lüge. Im Nachhinein neigen die Sieger der Geschichte dazu, das Kleine zum großen Gründungsmythos zu verklären. Das war schon am 14. Juli vor 225 Jahren so, als ein aufgebrachter Mob vor das Pariser Stadtgefängnis zog, dessen Kommandant sich gemeinsam mit seiner kleinen Schar von Kriegsveteranen und einigen Soldaten ergab und kampflos die sieben noch verbliebenen Häftlinge freiließ. Die bürgerlichen Revolutionäre bogen die Geschichte in die Legende von der Erstürmung der Bastille um, den Startschuss für die große Revolution.

Knapp 200 Jahre nach dem 14. Juli 1789 meldete ein gewisser Matthias Roeingh zusammen mit seiner Lebensgefährtin Danielle de Piciotto eine politische Demonstration unter dem Motto »Friede, Freude, Eierkuchen« in Berlin an. Und auch hier war schon Lüge im Spiel, denn um Politik ging es bei dem Ereignis überhaupt nicht. Rund 150 Menschen zogen am 1. Juli 1989 durch die Innenstadt Westberlins. Voran ihr neues Heiligtum: ein Pritschenwagen mit Lautsprecher und DJs. Zehn Jahre später waren es 1,5 Millionen, die bei der sogenannten Love Parade einen Tag lang die Straße des 17. Juni nebst umliegendem Gelände verstopften und ihrem Guru Dr. Motte (Matthias Roeingh) huldigten.

Für Liebhaber von Verschwörungstheorien sei hier noch angemerkt: Wenige Monate nach dem 1. Juli 1989 fiel die Berliner Mauer. Es gibt Zeitgenossen, die da einen Zusammenhang erkennen wollen. Dabei dürfte der Umkehrschluss naheliegender sein: Dr. Motte und die Seinen haben in jenem Sommer des Jahres 1989, in dem überall entlang der Demarkationslinie des Kalten Krieges die Grenzen durchlässiger wurden, ein seismographisches Gespür für die kommende Welterschütterung bewiesen: Wenn (angeblich) keine Kriegsgefahr mehr droht, weil der Gegner kampflos kapituliert hat, schwindet die Angst. Wo aber das Volk keine Angst mehr haben muss, droht den Mächtigen die Selbstentmächtigung.

Die Jugend in Deutschland musste nach dem Epochenwandel ihre Stahlgewittererfahrungen anderweitig finden: zunächst in den Technobunkern, in denen der infernalische Lärm der Beats dem Trommelfeuer der Weltkriege in nichts nachstand, ab dem 1. Juli vor 25 Jahren eben auch auf den Paraden des Dr. Motte. jam

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