nd-aktuell.de / 03.07.2014 / Kultur / Seite 15

Was soll die Fragerei?

Mertesacker-Interview

Eigentlich hat ZDF-Reporter Boris Büchler alles richtig gemacht. Als Journalist sollte man in einem Interview vor allem Fragen stellen, die mit einem »W« beginnen: »Was, warum, wieso, weshalb?« Als er am Montag Abend nach dem Achtelfinale der Fußball-WM zwischen Deutschland und Algerien den Fußballspieler Peer Mertesacker interviewen wollte, ging das aber gründlich schief. Auf die Frage: »Was hat das deutsche Spiel so schwerfällig und anfällig gemacht?«, reagierte Mertesacker ungehalten mit einer Gegenfrage: »Was soll die Fragerei?« Der Rest des rund 90 Sekunden dauernden Wortwechsels ist mittlerweile Gesprächsstoff im Internet und an Fußballstammtischen.

Mit der sogenannten Wutrede von Rudi Völler aus dem Jahr 2003, in der der damalige Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft auf die Fragen des Fußballreporters Waldemar Hartmann nach einem verlorenen Spiel der DFB-Elf reagierte, wird das Interview Büchler-Mertesacker verglichen. Das ist jedoch die falsche Analogie: Was bei Völler Ausdruck ungezügelter, unbedachter Emotion war, ist bei Mertesacker bei allen echten Gefühlswallungen bedachte Rhetorik. Interviewte haben eine erstaunliche Macht über Journalisten, wenn sie das Frage-Antwort-Spiel geschickt durchbrechen und ihrerseits mit W-Fragen kontern. Journalisten wiederum können nur dann Herren des Gesprächs bleiben, wenn sie die Fragen offen stellen. Büchler aber tappte in die Falle. Überrascht von der Gegenfrage Mertesackers: »Was wollen Sie jetzt von mir?« stammelte er: »Ich will wissen, warum es nicht so gut gelaufen ist, halt nur so«.

Wie man als Journalist besser reagieren kann, zeigte 1972 Friedrich Nowottny. Der interviewte den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt nach einem deutsch-französischen Regierungsgipfel. Da der Bericht nur 90 Sekunden lang sein durfte, hatte er Brandt vorab gebeten, sich in seinen Antworten kurz zu fassen. Der war über diese Regieanweisung, die er als Anmaßung empfand, ungehalten und quittierte jede Frage Nowottnys deshalb mit einem knappen »Ja«, »Nein« oder »Doch«. Nach einer guten halben Minute hatte Nowottny begriffen und formulierte fortan seine Fragen so, dass sie vorweggenommene Antworten Brandts waren, die dieser nur noch bestätigen oder verneinen musste. jam