nd-aktuell.de / 04.07.2014 / Politik / Seite 6

»Zwölf Monate sind nicht genug«

LobbyControl fordert dreijährige Karenzzeit für Minister und Staatssekretäre

Fabian Lambeck
Der »Fall Niebel« setzt Union und SPD unter Druck. Die Koalitionäre wollen nun eine zwölfmonatige Karenzzeit für Politiker, die in die Wirtschaft wechseln. Kritiker halten diese Frist für zu kurz.

Negativschlagzeilen ist Ex-Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) gewohnt. Immer wieder meldeten die Medien spektakuläre Personalien in seinem Ressort, das im Laufe der Legislatur zu einem Auffangbecken gescheiterter FDP-Spezies ohne Fachkenntnis wurde. Selbst der Bundesrechnungshof monierte den aufgeblasenen Apparat und Traumgehälter für ehemalige liberale Kleinstadtbürgermeisterinnen, die Entwicklungsprojekte koordinieren sollten. Zwar ist Niebel bereits seit Dezember kein Minister mehr, doch trotzdem weht ihm nun ein veritabler Shitstorm entgegen. Grund ist sein geplanter Wechsel in die Rüstungsbranche. Der Liberale soll ab kommendem Jahr Cheflobbyist bei der Panzerschmiede Rheinmetall werden. Die Personalie hat mehr als nur ein Geschmäckle, schließlich saß Niebel im Bundessicherheitsrat, als dieser Rheinmetall das Okay für den Bau einer Panzerfabrik in Algerien gab.

In der eigenen Partei zeigt man sich ob dieser beruflichen Neuorientierung verstimmt. Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, so etwas wie das liberale Gewissen der FDP, fand gegenüber »Spiegel Online« deutliche Worte: »Herr Niebel hat in seiner politischen Karriere der FDP eher geschadet als genutzt - im Amt und jetzt nachwirkend außerhalb des Amts«, so Baum.

LINKE-Chefin Katja Kipping wurde deutlicher: »Das ist der nächste Fall von nachgelagerter Korruption eines Mitglieds der letzten Bundesregierung. Niebel versilbert seine Ministerkontakte«, so Kipping gegenüber der »Rhein-Neckar-Zeitung«.

Selbst die Kanzlerin griff zum Telefonhörer. Angela Merkel habe in einem Gespräch mit Niebel ihre Haltung deutlich gemacht, bei einem Wechsel in die Wirtschaft eine einjährige Karenzzeit einzuhalten, so Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Allerdings stehe dem Wechsel juristisch nichts im Weg, so Wirtz. Bislang gibt es hier tatsächlich keine gesetzlichen Vorgaben.

Anfang Januar hatten die Fraktionsspitzen von Union und SPD beschlossen, dass sich die Kabinettsmitglieder per »Selbstbindung« auf eine Auszeit festlegen sollten. Die Fraktionsjuristen waren da jedoch anderer Meinung. Ein solcher Eingriff in die Freiheit der Berufswahl müsse per Gesetz geregelt werden, so die Juristen. Daraufhin verständigte man sich, nun doch einen Gesetzentwurf auszufertigen. Doch wie soll ein solches Gesetz aussehen? Der Koalitionsvertrag bietet da keine Hilfe: Dort heißt es unverbindlich, man strebe eine »angemessene Regelung« für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Staatssekretäre und politische Beamte an. Angesichts dieser unklaren Vorgaben und der Bedenken bei Union und SPD, wurde das Projekt nicht ernsthaft weiterverfolgt. Erst der Trubel um Niebel scheint die Verantwortlichen aufgeschreckt zu haben. Die Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht sagte am Mittwoch, die Regierung werde bald einen Vorschlag unterbreiten. Offenbar läuft es wie bei Merkel auf ein Jahr Abstinenz hinaus. »Zwölf Monate sind eine Frist, die realistisch erscheint«, so Lambrecht.

»Zwölf Monate sind zu kurz«, meinte hingegen Timo Lange von der Nichtregierungsorganisation LobbyControl am Donnerstag gegenüber »nd«. »Wir fordern stattdessen eine dreijährige Karenzzeit«, so Lange. Diese Frist sei nicht »überlang« und garantiere doch, dass »Gesetzgebungs- und Vergabeverfahren«, von denen der Betreffende Kenntnis hatte, bereits abgeschlossen seien. Zudem sei auch das Insiderwissen nach drei Jahren weniger wert, weil viele der politischen Kontakte nicht mehr aktuell sein dürften, so Lange.

Auch die Vorschläge von LINKEN und Grünen gehen deutlich weiter als die Pläne der Großen Koalition. Die Grünen plädieren wie LobbyControl für eine dreijährige Karenz, die Linkspartei will die Dauer der Auszeit von der Länge der Regierungstätigkeit, der Ressortzuständigkeit und dem Anspruch auf Übergangsgelder abhängig machen. Kommentar Seite 4