nd-aktuell.de / 05.07.2014 / Kommentare / Seite 2

Denken? Nicht zum Aushalten!

Kathrin Zinkant übers Meschuggewerden in Zeiten des kollektiven Wahnsinns

Kathrin Zinkant

Der Wahnsinn lässt sich auf eine einfache Formel bringen. Im Jiddischen ist sie schon lange verankert - als »mishegas«, die milde Verrücktheit, die so ziemlich jedem Menschen innewohnt und die sich vom echt verrückten »meshugah« unterscheidet. Der Wahnsinn also ist normal. Und wann hätte man das je deutlicher vor Augen geführt bekommen als jetzt? Ehemalige Entwicklungsminister gehen in die Waffenindustrie, Ex-Premiers werden verhaftet, einstige Volksidole kommen in den Knast, und ein Kanzler a. D. verweigert die Freigabe von staatlichem Eigentum.

Irre, irgendwie, aber nicht so irre, dass sich irgendjemand an diesem Wahnsinn wirklich stören würde. Er steckt ja womöglich in jedem von uns, auf die eine oder andere Art und Weise, vielleicht ist der Wahn sogar genetisch im Menschsein verwurzelt. Vor ein paar Tagen haben Forscher dazu etwas veröffentlicht, es geht um Schizophrenie, diese missverstandene Psychose, von der viele immer noch glauben, sie habe mit der Spaltung der Persönlichkeit zu tun, obwohl sie eher ein Zugewinn zum Ich ist, bei dem sich scheinbar Fremdes in das eigene Erleben und Denken einschaltet und seine unerwünschten Beiträge leistet.

Menschen mit einer solchen Symptomatik fehlt allerdings durchaus oft etwas, ein genau definiertes Stückchen ihres 15. Chromosomens, und mit diesem Fragment geht auch ein bestimmtes Gen flöten, das offenbar wichtige Aufgaben in der Entwicklung von Hirnzellen erfüllt, was darauf hinweist, dass Schizophrenie zu einem guten Teil eine Entwicklungsstörung ist. Aber es gibt auch Menschen, die mehrere Ausführungen dieses erblichen Schnipsels besitzen, und die werden dann oft Autisten. Was soviel heißt wie: Das Verrücktsein steckt in uns allen drin.

Die Forscher haben dafür übrigens gleich persönlich den Beleg geliefert und ein etwas verrücktes Bild aus den Zellen ihrer Versuche zusammengebastelt: Es sieht eigentlich sehr hübsch aus, ein wenig wie grellbunte Pusteblumen auf schwarzem Hintergrund, aber weil auch mit einem Forscher ab und zu mal die Pferdchen durchgehen, soll das Bild keine Blumen darstellen, sondern ein Feuerwerk zum Anlass des 4. Juli, des höchsten nationalen Feiertags in den Vereinigten Staaten. An diesem Tag verbrät das patriotische Amerika immer eine Menge Pyrotechnika und Kanonenkugeln, um gemeinsam mit den ganz normal verrückten Forschern die Unabhängigkeit der USA von Großbritannien zu feiern.

Was in Bezug auf die geistige Gesundheit noch eine besondere Bedeutung hat, denn es war der 4. Juli 1845, als sich der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau seiner ganz persönlichen Unabhängigkeit besann und der zivilisierten Welt den Rücken kehrte, um in einer Blockhütte am Waldensee in Massachusetts zwei Jahre lang allein zu sein und über das einfache Leben nachzudenken. Völlig einsam war Thoreau zwar nicht in seinem Häuschen, es gab auch ein paar sonderbare Menschen dort, aber wie der Autor in »Walden. Oder das Leben in den Wäldern« später schrieb, war ein Hauch Morgenluft das einzige, was er als Medizin wirklich brauchte.

Vor einiger Zeit hätten wir aus unserer Perspektive des 21. Jahrhunderts heraus gesagt: Ja, genau so muss das Glück der ausgeglichenen Seele aussehen. Wenn man zwei Jahre lang meditierend den Libellen am Wasser zugucken und sich der Existenz als solcher erfreuen kann.

Aber inzwischen wissen wir, dass etwas nicht ganz stimmte mit Thoreau. Denn Menschen wollen nicht alleine sein, schon gar nicht mit ihren Gedanken, es quält sie schon nach wenigen Minuten derart, dass sie sich bereitwillig Schmerzen mit einem Elektroschockgerät zufügen, um das Alleinsein nicht so zu spüren. Das haben Wissenschaftler aus Virginia jetzt in elf Experimenten an Männern und Frauen gezeigt. Sie setzten diese Menschen einfach in einen Raum und ließen sie sechs bis 15 Minuten lang allein. Nur wenige hatten Spaß dabei. Es war ein bisschen leichter, wenn ihnen eine Aufgabe gestellt wurde, mit der sie sich in ihrer Einsamkeit gedanklich befassen konnten.

Man könnte nun sagen, dass der Mensch eben ein geselliges Wesen ist, ein Herdentier, ein Gruppengrübler. Der Menschen glaubt aber auch, dass er sich von den Tieren durch sein Bewusstsein unterscheidet und durch die Fähigkeit, abstrakt zu denken. Der Wahnsinn beginnt, wenn das eigenständige Denken nicht mehr ausgehalten wird.