Tango in Cannes

Im Kino: »Verführt und verlassen« führt die Traumfabrik vor

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Die magischen Zahlen dieses Films lauten 95 und fünf. 95 Prozent seines Lebens habe er mit dem Ringen um die Finanzierung seiner Filme verbracht, bloße fünf Prozent mit dem Filmen selbst, klagte einst Orson Welles. Das sei keine produktive Art, sein Leben zu verbringen. Das Zitat ist »Verführt und verlassen« vorangestellt, dazu bezeichnet Woody Allen den Tod als etwas, mit dem man sich arrangieren könne - wenn man ihn nur nicht selbst durchmachen müsste.

Um das Filmemachen, den Frust und den Tod geht es in diesem Film, angesiedelt im Grenzgebiet zwischen Kunst und Kommerz, Realität und Fiktion, filmhistorischer Reminiszenz und Hollywood-Satire. Die beiden magischen Zahlen tauchen immer wieder auf, eingeblendet zwischen Interviews und Party-Szenen, dem öffentlichen Feiern fertiger Filme und dem würdelosen Betteln um Geld für neue Projekte. Der »Verführer« aus dem Titel, das ist Hollywood, die Traumfabrik, die Filmindustrie. »Verlassen«, das sind die Kreativen, die Filmemacher und Schauspieler, die mit ihren Projekten um die Gunst der Geldgeber buhlen müssen, sich anpreisen, ihre Kunst an den Mann bringen, ihre Vision verkaufen.

Es ist ein Tanz der Eitelkeiten, ein Gezerre um Budget-Höhen und marktgängige Besetzungsmodelle, um zu wenig Action oder zu viel Sex, um Profit versus Anspruch. Und ein Kampf des wirtschaftlich vielversprechenderen kleinsten gemeinsamen Nenner gegen die künstlerische Ambition, ein Meisterwerk zu schaffen. Das (semi-)konkrete Projekt, mit dem Filmemacher James Toback und Schauspieler Alec Baldwin beim Filmfest in Cannes 2012 hausieren gingen, das Kamerateam stets im Schlepptau, hängt dabei zwischen allen Stühlen.

»Letzter Tango in Tikrit« soll es heißen, ein Remake von Bertoluccis Pariser Skandalfilm, mit eigenen künstlerischen Ambitionen natürlich - und mit Alec Baldwin in der Rolle, die einst Marlon Brando spielte. Neve Campbell, mit der Toback früher schon gedreht hat, soll in dieser irakischen Neuauflage Maria Schrader ersetzen - aber ist Neve Campbell wirklich ein Name, der Blockbuster-Fans hinterm Ofen vorlockt?

15 bis 25 Millionen Dollar wollen Toback und Baldwin einwerben, vielleicht könnten aber auch zwölfeinhalb schon reichen, wenn man das Projekt ein bisschen umschriebe. Ein kleines Budget in Hollywood-Zusammenhängen, aber ohne fertiges Drehbuch doch eher schwierig zu beschaffen - zumal weder Toback noch Baldwin einen uneingeschränkt guten Ruf genießen. Vier bis fünf Millionen halten die meisten der Produzenten allenfalls für realistisch, mit denen sie sich zu Meetings in Luxushotels, auf Yachten, in Parks und an Filmmarktständen treffen.

Und wenn man den Film mit Ryan Gosling und Jessica Chastain besetzen könnte, beide gerade sehr angesagt? Oder wenn man in Tunesien, Marokko oder Abu Dhabi öffentliche Förderung bekommen könnte, auch wenn der Film für muslimische Zensurbehörden vielleicht doch etwas freizügig ist? Wenn sich russische Verleihfirmen finden ließen, die Garantiesummen stellten und einen großen Markt mitbrächten … Und was hält eigentlich Bernardo Bertolucci selbst von der Idee eines Remakes seines einstigen Verbotsfilms? Toback und Baldwin sprachen mit ihnen allen, mit Gosling und Chastain, mit Bertolucci und den Filmförderern, mit Kritikern (Michel Ciment, Todd McCarthy) und Produzenten (Jeff Katzenberg, Mike Medavoy), mit Regisseuren (Polanski, Scorsese, Francis Ford Coppola), Drehbuchautoren (Diablo Cody) und noch mehr Schauspielern (James Caan, Diane Kruger).

Sie sprachen über ihr eigenes Projekt, aber auch über die Kunst des Filmemachens an sich. Über Geld und Profit, über Kunst und Tod, über den Glanz von Cannes und die eigenen, bröckelnden Illusionen, über die Zeiten, die früher für mittelgroße Projekte wie das ihre besser waren, und über den eigenen Traum, endlich ganz großes Kino zu machen.

Filmclips, Split Screens, Nostalgie und Schostakowitsch prägen diesen Zwitter zwischen Dokumentar- und Spielfilm, und am Ende steht vor allem eins fest: Film ist Leben, und das Ende jedes Films ist wie ein kleiner Tod. Wenn die Vorführung zu Ende ist und die Lichter wieder angehen, dann hat einen der graue Alltag wieder. Außer man ist Filmemacher, dann ist der Alltag: siehe oben.

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