Wenn sich die Firma um den Großvater kümmert

Employee-Assistance-Progamme (EAP) sollen Mitarbeiter eines Unternehmens von ihren privaten Sorgen und Problemen befreien

  • Henriette Palm
  • Lesedauer: 4 Min.
Dienstleister sollen dafür sorgen, dass häusliche Probleme nicht die Produktivität der Arbeit schmälern. Auf dem Landestag der Psychologie in Stuttgart werden die Programme an diesem Wochenende vorgestellt.

Arbeitsleben und Privatleben lassen sich nur schwer voneinander trennen. Probleme am Arbeitsplatz werden mit nach Hause genommen, und umgekehrt tragen viele Mitarbeiter häusliche Sorgen mit an den Arbeitsplatz, sind davon belastet, abgelenkt und in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Besonders gravierend ist das dann, wenn Probleme länger anhalten und die Betroffenen es nicht schaffen, sie allein zu verarbeiten. Für solche Situationen sind Employee Assistance-Programme (EAP) das Mittel der Wahl. Beim Landestag der Psychologie in Stuttgart am 12. Juli wird die Bonner Diplom-Psychologin Alexandra Miethner EAP einem interessierten Publikum vorstellen. Der Landestag dient der Begegnung von Praxis und Wissenschaft und wird von der Landesgruppe Baden-Württemberg des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen veranstaltet.

Unternehmen bzw. Arbeitgeber, erklärt Alexandra Miethner, investierten in diese Form externer Beratung vor allem im Interesse gesunder leistungsstarker Arbeiter und Angestellter. Fehlzeiten würden sinken, die Produktivität steigen. Ein positiver Nebeneffekt bestehe in einer engeren Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen, was in Zeiten knapper werdenden Fachkräfte sehr wichtig sein kann.

Mögen viele vor Jahren noch gesagt haben »Was geht es mich an, ob der Kollege Streit mit seiner Frau hat oder eine Lösung für seinen dementen Vater finden muss«, werden solche Krisensituationen heute von immer mehr Unternehmen gleichberechtigt mit medizinischen und psychologischen Problemen am Arbeitsplatz gesehen. Nachdem es zunächst vor allem Großbetriebe waren, die sich externe Beratung für ihre Mitarbeiter leisteten, wissen inzwischen auch viele Mittelständler und Behörden das Angebot von Dienstleistern auf diesem Gebiet zu schätzen. Einer Studie zufolge halten Unternehmer psychische Erkrankungen und Belastungen wie Sucht, Stress und Burnout noch immer für die wichtigsten Handlungsfelder der EAP, schätzen die externe Beratung im Rahmen der EAP aber auch bei Konflikten am Arbeitsplatz, bei Themen wie Work-Life-Balance und Pflege von Angehörigen.

Nach einer telefonischen Erstberatung folgen bei Bedarf Face-to-face-Kontakte. Auch virtuelle besonders geschützte Plattformen werden genutzt. Absolute Vertraulichkeit ist oberstes Gebot und bei Psychologen auch gesetzlich vorgeschrieben. Der Chef zahlt, erfährt aber nicht, wer sich in welcher Frage hat beraten lassen.

Die Vertragsgestaltung ist nicht nur deshalb das A+O. Will und braucht eine Firma eine 24-Stunden-Hotline, die beim Dienstleiter erhebliche Manpower voraussetzt und natürlich bezahlt werden muss, oder reichen Zeitfenster, in denen die Mitarbeiter sich zwecks Erstberatung an den Programm-Anbieter wenden können? Auf welche Felder will man die Beratung beschränken oder ausdehnen? Geht es vor allem um psychische Belastungen - wodurch auch immer - , um familiäre Probleme, oder erwartet ein Unternehmen vom Anbieter auch die Vermittlung eines Hundesitters und einer Einkaufshilfe? In den USA gehen immer mehr Unternehmen so weit, weil sie so viele Stressfaktoren wie möglich von ihren Beschäftigten fernhalten wollen, und dazu kann dann auch mal das Abholen eines Autos aus der Werkstatt gehören.

Alexandra Miethner konzentriert sich auf ein Spektrum, bei dem sie berufliches Wissen und ihre Erfahrung optimal einsetzen kann; sie vermittelt keine Kinderbetreuung. Bezahlt wird die Dienstleistung etwa über eine Pro-Kopf-Pauschale pro Jahr. »Dabei kann der Unternehmer den Aufwand des Anbieters im Vergleich zum Nutzen für die Firma und die Beschäftigten allerdings nur schwer erkennen«, räumt Miethner ein. Für transparenter hält sie eine Regelung, bei der eine Bereitstellungspauschale anfällt und weitere Kosten davon abhängen, in welchem Maße Mitarbeiter das Angebot nutzen.

Wie man den richtigen Anbieter für sein Unternehmen findet und woran qualifizierte Anbieter zu erkennen bzw. zu messen sind, ist aus mehreren Gründen nicht ganz einfach. Es gibt keine Vorschrift, wonach nur diese oder jene Berufsgruppe EAP anbieten darf. Wer den Schwerpunkt auf die psychische Gesundheit legen will, sollte sich an Psychologen mit Diplom- oder Masterabschluss halten. Wer gleich oder perspektivisch an ein »Rundum-sorglos-Paket« für seine Mitarbeiter denkt, braucht eher einen großen Anbieter mit unterschiedlich spezialisierten Bereichen.

Kritiker beklagen die nach streng wissenschaftlichen Kriterien schwierige Messbarkeit der Wirkung der EAP. Befürworter verweisen auf einen geringeren Krankenstand und eine stärkere Mitarbeiterzufriedenheit. Letztere zeige sich sogar bei denen, die die Angebote selbst noch gar nicht in Anspruch genommen haben, jedoch einen Arbeitgeber schätzen, der sie für seine Angestellten vorhält.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal