Der letzte seiner Art

Tommy Ramone ist tot

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die Ramones 1976 nach England tourten, rümpften die Erfinder des US-Punkrock die Nase über clowneske britische »Punk«-Stars und über deren viel zu leisen Bühnensound. Worüber sie sich besonders wunderten: »Die hatten nicht mal ein Podest für den Drummer.« Schlagzeuger Tommy Ramone dagegen thronte stets würdig über der Band und vor dem riesigen, verfremdeten Präsidenten-Siegel, das noch heute massenhaft auf T-Shirts gedruckt wird. Am Freitag ist Tommy Ramone, Mitbegründer und Produzent der Ramones, in New York gestorben.

Das Ersetzen von Virtuosität durch pure Energie und sozialkritische Bezüge zur Trivialkultur machten die Ramones nach den Beatles zum wohl einflussreichsten Popmusik-Projekt des letzten Jahrhunderts. Für die vier Schulfreunde aus Queens/New York bedeutete die Abkehr vom Art-Rock der 1970er Jahre nie, dass man den Fans keine große Show zu bieten habe - im Gegensatz zu den Sex Pistols. Aber jene Londoner Casting-Band kann im Vergleich ohnehin nur als billige Punk-Karikatur bezeichnet werden. Während viele britische »Punks« den bombastischen »Rhino-Rock«, gegen den sie wie die Ramones rebellierten, nur durch ein neues Affentheater aus Irokesen-Verkleidungen und Malcolm McLarens affiger Modelinie ersetzten, warfen sich die Ramones eine Lederjacke, ein T-Shirt und eine kaputte Jeans über - und zogen sich dann 30 Jahre nicht mehr um. Okay, so lange hat Tommy nicht durchgehalten. Er hatte nach vier Jahren genug.

Tommy Ramone war als Drummer, Autor und Produzent an den ersten vier Studioalben und damit an allen Kultsongs der Ramones beteiligt. Und auch, wenn das sonst den Drummern vorbehaltene Einzählen der Songs, das legendäre »one, two, three, four!«, von Bassist Dee Dee herausgebellt wurde: Tommy gab auf einem der besten Livealben der Rockgeschichte das irre Tempo vor. Angesichts der auf »It's Alive« von 1977/78 gebannten, pausenlosen Hochgeschwindigkeits-Show versteht man auch seinen Ausstieg nach der Tour - wegen Erschöpfung.

Tommy Ramone wurde 1949 als Tamás Erdélyi in Budapest als Sohn jüdischer Künstler geboren, 1956 siedelte die Familie nach Queens/New York. Viele Familienmitglieder sind den Nazis zum Opfer gefallen. Die Ramones-Bezüge zum Holocaust sind dementsprechend zahlreich und sarkastisch, auch als Folge eines bandinternen Konflikts: Der Song »Blitzkrieg Bob« enthält die unsterbliche Zeile »Hey Ho, Let’s Go«, in »Today Your Love, Tommorrow The World« singen sie »I’m A Nazi Baby, I’m A Nazi, Yes I Am«, eine der Ramones-Regeln für ein dubioses, rechtes »Commando« lautet: »Iss koschere Salami!«

Ab 1978 beschränkte sich Tommy Ramone aufs Produzieren und ein spätes Country-Projekt. Tamás Erdélyi verstarb 65-jährig an einer Krebserkrankung. Er war der letzte Überlebende aus der Riege der Gründungsmitglieder der Ramones.

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