nd-aktuell.de / 14.07.2014 / Kultur / Seite 14

Preußische Party-Metropole

Für den italienischen Soziologe Franceso Masci ist Berlin von einer »absoluten Kultur« okkupiert

Raul Zelik

Im Sommer 2013 veröffentlichte die FAZ eine ausführliche, aus dem Französischen übersetzte Rezension von Francesco Mascis »die ordnung herrscht in berlin«. Viel Aufmerksamkeit für ein Buch, das erst ein knappes Dreivierteljahr später auf Deutsch erscheinen sollte. Offensichtlich meinte man in den Redaktionsstuben in Frankfurt, mit der Besprechung zur Attacke gegen den - zugegebenermaßen unsäglichen - Berlin-Hype blasen zu können. Denn wenn sich etwas Gutes über Mascis hundertseitigen Essay sagen lässt, dann dies: Es handelt sich um ein flammendes Manifest gegen die preußische Party-Metropole.

Die Ausgangsthese des in Paris lehrenden Soziologen Masci lautet, dass Berlin von einer Art »absoluter Kultur« okkupiert sei. Masci macht sich nicht weiter die Mühe zu definieren, was das bedeutet, doch aus dem Zusammenhang erschließt sich, dass er darunter so etwas wie eine Diktatur von Spektakel und Fiktion versteht. Im Unterschied zu Guy Debords »Gesellschaft des Spektakels« geht Masci allerdings nicht davon aus, dass sich hinter dieser Welt der Unterhaltung ökonomische Machtverhältnisse verbergen, die es zu kaschieren gilt. Für Masci ist die Entertainment-Realität, in der die Politik verdrängt ist und sich alles in Ästhetik verwandelt, die eigentliche Essenz des heutigen Daseins.

So komprimiert klingt das nach eine ganz interessanten These. Und auch Mascis Berlin-Verachtung kann in einer Stadt, die sich vor Reisegruppen nicht mehr retten kann, außerhalb des Hotel- und Gastronomie-Gewerbes nur auf Zustimmung stoßen. Doch das Problem an Mascis Essay ist, dass er es mit seiner Forderung, die Politik gegen ästhetische Klischees zu verteidigen, denn doch nicht so ernst meint. Das Buch ist selbst Teil jener kulturalistischen Bilderproduktion, die es kritisiert. Masci konstruiert ein Abziehbild der Stadt, auf das sich wunderbar eindreschen lässt. Die jüngere Geschichte Berlins zurrt zu einigen wenigen von Reiseführern bedienten Stereotypen zusammen: Da sind der Nihilismus der Punk-Bewegung, die Schlangen vor den Techno-Clubs in Mitte, angezündete Autos und Polit-Randale.

Aus diesen Versatzstücken baut sich Masci ein Berlin, in dem jeder »Clubbesuch als Widerstandsakt« halluziniert wird. Ja, möchte man sagen, das Berlin-Getue des vergnügungssüchtigen, heranwachsenden oder bereits herangewachsenen Easy-Jet-Sets ist unerträglich. Doch die »fiktive Subjektivität«, die Masci Berlin pauschal nachsagt, fällt letztlich seinen Text zurück. Denn von den konkreten Fragen - nämlich, warum sich in der Stadt in den 1970er und 1980er Jahren sowohl im Westen als auch im Osten überhaupt politisierte Subkulturen herausbilden konnten, wie diese minoritären Erscheinungen in den 1990er Jahren allmählich als Berlin-Image in Wert gesetzt wurden (Stichwort »arm, aber sexy«) und weshalb der Tourismus-Boom und die Explosion der Immobilienmärkte diesen Subkulturen heute wieder den Boden entzieht - will Masci nichts wissen. Der Text macht auch nicht den Eindruck, als würde Masci solche politischen und ökonomischen Dimensionen tatsächlich verstehen.

Doch noch unangenehmer als diese - erst beklagte, dann reproduzierte - Blindheit für das Politische ist die Sprache des Essays, die sich durch eine seltsame Verbindung von Begriffsunschärfe und düsterem Pathos auszeichnet. Entwicklungen sind meist »total«, »absolut« oder »definitiv«. Dabei bedient Masci auch ganz gern das kleinstädtische Grauen am Morbiden - etwa, wenn er schreibt, »die Kunstgalerien übersäen den Leichnam der Politik wie postmortale Wülste«. Und wenn er es dann einmal politisch werden lässt, fällt ihm ausgerechnet Carl Schmitt ein. Als Gegenpart zum absoluten Kulturbetrieb führt der italienische Soziologe ausgerechnet den autoritären deutschen Staatstheoretiker ins Feld. Dieser behauptete bekanntlich, dass Politik nur dort stattfinde, wo es Feindschaft gebe. Doch was will uns der Dichter damit sagen? Dass Berlin den Kultur-Schnick-Schnack vergessen und sich auf soziale Kämpfe besinnen sollte? Das Hipstertum attackieren und sich den Auseinandersetzungen um das Recht auf Stadt stellen? Immerhin trägt der Essay denselben Titel wie Rosa Luxemburgs im Januar 1919 veröffentlichter letzter Artikel. Nein, keineswegs. Soweit möchte sich Masci denn doch nicht von der »absoluten Kultur« entfernen.

»die ordnung herrscht in berlin« ist ein seltsames Buch. Es beklagt den Mangel an Politik, interessiert sich aber nicht für diese bzw. hat gar keinen Begriff des Politischen. Es behauptet die sinnentleerende Ästhetisierung von Standpunkten zu verabscheuen, aber behandelt auch dieses Problem nur als Geschmacksfrage. Es empört sich über Klischees, fügt aber nur ein weiteres hinzu. Ironisch könnte man sagen, der Berlin-Hype sei jene Art von Stadt-Diskurs, in dem jeder schwülstig-kritische Einwand als »Widerstandsakt« erlebt werden kann. Auch das nur eine Frage der Ästhetik: Man wählt den von einer in Bürgerkriegszeiten erschossenen Revolutionärin formulierten Titel und erhält eine Seite im Feuilleton der FAZ.

Francesco Masci: die ordnung herrscht in berlin, Matthes & Seitz-Verlag, 108 Seiten, 14,90 €.