nd-aktuell.de / 17.07.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Zumeist landet nur der Pleitegeier

Geltungssucht und Rechenschwäche: Nicht jede Wiese mit Betonbahn ist wirklich ein Flugplatz

René Heilig
Alle reden vom Pannen-Airport BER, dabei gibt es in Deutschland mehr als 500 Flugplätze. 40 davon sind angeblich Verkehrsflughäfen, nur wenige verdienen den Namen.

»Es gibt viele gute Gründe, nach Mecklenburg-Vorpommern zu kommen: zum Beispiel rund 1900 Kilometer Küste, 2000 Seen, dazu prächtige Hansestädte, zwei Weltkulturerbestädte, vornehme Residenzstädte und noble Ostseebäder. Und drei der vierzehn deutschen Nationalparks... Kurzum: Mecklenburg-Vorpommern ist eine Reise wert.«

Soweit hat Christian Pegel (SPD), geboren in Hamburg und derzeit Minister für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung in Schwerin, sicher Recht. Doch dann entfernt er sich Lichtjahre von der Realität, denn er preist den Flughafen Rostock-Laage »als Ausgangsort für einen guten Start in den Urlaub«. »500 Hektar - unbegrenzter Raum für die luft- und landseitige Expansion« sowie »24 Stunden - keine Einschränkungen« habe man zu bieten, sagt das Management. Und gewiss hätte der Flughafen, wie der Minister sagt, »viel Potenzial« - wäre er nicht überflüssig.

Würde auf und über dem einstigen NVA-Militärflugplatz nicht auch ein Eurofighter-Geschwader der Luftwaffe rumoren - niemand käme auf den Gedanken, dass hier ein »Airport« existiert. Der - wie bunte Karten suggerieren - Verbindungen quer durch Europa hat. Am Dienstag dieser Woche kam ein Flug aus Antalya rein und ist 45 Minuten später wieder davongeflogen. Das war sozusagen die Rushhour der Woche.

Bisweilen macht es schon Sinn, auf Experten zu hören - gerade auf jene, die Geld verdienen wollen. Bereits 2005 warnte die Deutsche Bank vor Wildwuchs bei den Regionalflughäfen. Deutschland brauche eine Flughafenpolitik aus einem Guss, schrieben die Analysten. »Regionalpolitische Alleingänge beim Ausbau von Regionalflughäfen könnten durch eine bundeseinheitliche Flughafenpolitik verhindert werden. Die damit verbundene Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Bundesebene würde regionalpolitische Interessen einschränken.«

Doch man hörte nicht auf die Warner, die meinten, dass die »kritische Größe zum kostendeckenden Flughafenbetrieb bei 0,5 bis 2 Millionen Passagieren pro Jahr« liege. Damals erreichte keiner der 39 deutschen Regionalflughäfen die Zwei-Millionen-Marke. Nur fünf kamen auf 500 000 Passagiere. 33 von ihnen hatten weniger als 100 000 Passagiere.

Nicht nur die Geldverdiener sagten Misserfolge voraus. Auch Experten, die eine Zunahme des Luftverkehrs prognostizierten und weiter vorhersagen, meinen, aus verkehrspolitischer Sicht wäre es wichtiger, die Engpässe bei den existierenden großen Airports zu beseitigen.

Regionalflughafenausbau verschlingt Subventionen. Öffentliches Eigentum an Regionalflughäfen führe zum Subventionswettlauf, um Fluggesellschaften anzulocken. Damit fließen Steuermittel, trotz klammer öffentlicher Kassen, an zumeist ausländische Billigfluggesellschaften, die nicht die geringsten sozialen Standards erfüllen. Dies ist neben zahlreichen anderen Übeln auch eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber kostendeckenden Flughäfen.

Die planungsrechtliche Hoheit für Flughafenprojekte liegt bei den Bundesländern. Und natürlich haben Landespolitiker wie regionale Wirtschaftsunternehmen ein Interesse daran, mit der Welt verbunden zu sein. Hinzu kommt die Großmannssucht. Es ist, so meinen Landesfürsten, gut fürs Prestige, wenn man einen eigenen Airport hat. Kommunale Politiker in strukturschwachen Regionen erhoffen sich einen Aufschwung, sehen die Chance, Firmen zu locken und mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Doch ein Aufschwung à la Hahn im Hunsrück ist nicht überall wiederholbar.

April 2013. Kalt war es, diesig überdies, als Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) samt viel Polit- und Wirtschaftsprominenz auf dem nagelneuen Airport Kassel-Calden »Hessens nördlichstes Tor zur Welt« eröffnete. Man habe »Flügel bekommen«, prahlte der Premier und fand die Kosten in Höhe von 271 Millionen Euro gut angelegt. 233 Millionen Euro davon trägt das Land, mit 68 Prozent ist es größter Anteilseigner. Mit am Start sind die Stadt und der Landkreis Kassel sowie die Gemeinde Calden. »Ein Gemeinschaftswerk«, wie Volker Bouffier weismachen wollte.

Statt der zunächst prognostizierten 100 000 Passagiere im Jahr eins des neuen Airports starteten und landeten weniger als 47 000 Passagiere in Kassel-Calden. Bilanz: minus 6,6 Millionen Euro. Offiziell. Und nun? Ganze neun Abflüge gibt es in dieser Woche. Und entsprechend neun Landungen. Denn auf dem Gespenster-Flughafen lässt niemand seine Maschine stehen. Immerhin gibt es so genügend Möglichkeiten, um im Rahmen der »Entdeckertage Nordhessen« mehrmals täglich kostenlose Flughafen-Führungen anzubieten.

Wer ist schuld an der Misere? Maria Anna Muller, die Chefin, die bereits in Rostock-Laage nicht erfolgreich war. Im März einigte sie sich mit den Gesellschafter des Flughafens auf eine sofortige Auflösung des Vertrags - und eine lukrative Abfindung. Geholfen hat es nicht. Wie auch, denn die Schuld am wirtschaftlichen Debakel wird noch immer den Medien zugeschrieben. Die hätten zu negativ berichtet. Und damit die »Ökos« in die Vorhand gebracht.

Jüngst gab es Anzeigen von der Bahn: Neuer Schnellbus verbindet Kassel mit dem Flughafen Paderborn. Ab 1. Juli gibt es elf Fahrten täglich. Ticketpreis ab neun Euro. Die Busse sind mit Klimaanlage und kostenfreiem WLAN-Zugang ausgestattet.

Am Mittwoch gab es in Paderborn neun Abflüge, am heutigen Donnerstag sogar sogar 13. Es sind vor allem sogenannte »Urlauberbomber«, die hier abheben. Doch davon kann man nicht leben. Und auch nicht von dem folgenden Super-Spezialangebot: »Heiraten an Bord eines Flugzeuges ist eine der spektakulärsten Eheschließungen überhaupt. In enger Kooperation mit dem Paderborn-Lippstadt Airport macht das Standesamt der Stadt Büren diesen Traum jetzt möglich.«

Ganze 58 Kilometer sind die Flugplätze Paderborn (NRW) und Kassel-Calden (Hessen) von einander entfernt. Und von Paderborn bis zum Flughafen in Dortmund, dem mit rund zwei Millionen Passagieren viertgrößten in Nordrhein-Westfalen, sind es gut 100 Kilometer. Der höchstgelegene deutsche Verkehrsflugplatz Memmingen - hier waren einst Tornado-Jagdbomber stationiert - ist vom Weltairport München eine Autostunde und der Flughafen Erfurt - gestern hatte er zwei An- und zwei Abflüge - ist von dem in Leipzig eine gute Bahnstunde entfernt. Diese Distanzen sind typisch für das kleine Deutschland mit seinen zu vielen Verkehrsflughäfen. Für 65 Prozent der Bevölkerung beträgt die Anreisezeit zum nächstgelegenen Start- und Landeplatz weniger als 60 Minuten. Nur fünf Prozent der Einwohner müssen einen Anreise von über 90 Minuten hinnehmen.

Drehkreuze und alte Militärpisten

Primärflughäfen haben Drehkreuzfunktion. In Deutschland sind das die Airports in Frankfurt am Main und München. Sekundärflughäfen haben keine sogenannten Hub-Funktionen. Sie liegen aber in wichtigen Einzugsgebieten, bieten in größerem Umfang europäische Flugverbindungen an, sind aber an die Flugpläne der Linien-Fluggesellschaften gebunden. Beispiele: die Airports Düsseldorf, Hamburg, Berlin-Tegel (eigentlich sollte längst der BER die Funktion einnehmen) oder Stuttgart. Tertiärflughäfen definiert man gemeinhin als den Rest, der auch internationalen Anschluss hat. Beispiele: Dresden, Leipzig, Saarbrücken und Nürnberg. Quartiärflughäfen sind zumeist einstige Militär- oder Regionalflughäfen, die fast ausschließlich von Billiganbietern angeflogen werden.