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Aufruhr und Unordung

»Begierde und Schrecken«: Das fünfte Stummfilm-Festival im Kino Babylon

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Die fünfte Ausgabe von »Berlin Babylon«, dem nun schon traditionellen Stummfilmfest im Juli, kuratiert von Friedemann Beyer, hat diesmal gleich zwei Namen. Der eine ist ein neuer Serientitel, »Stummfilm Orgel Festival«. Schließlich kann das Kino Babylon sich inzwischen nicht nur seiner an sich schon bemerkenswerten historischen Filmorgel, sondern mit Anna Vavilkina nun auch noch einer festen Haus-Organistin rühmen. Das Einfliegen renommierter Stummfilmpianisten für das Stummfilmfest ist damit wohl ein Ding der Vergangenheit. Und dann gibt es den konkreten Titel für die diesjährige, fünfte Ausgabe und Filmauswahl, und der verspricht heißkalten Schauder in (hoffentlich) warmen Sommernächten: »Begierde und Schrecken«.

Nach dem Filmfest in Bologna und John Ford, nach Charlie Chaplin, Buster Keaton und Lubitsch/Heymann geht es im fünften Jahr nun also thematisch zur Sache, mit 21 Filmen aus den Jahren 1918 bis 1929, die mit innerem Aufruhr und äußerer Unordnung, mit alternativen Lebensstilen und dem Verkauf des eigenen Körpers, mit »Lebensgier, Gewaltexzess und Mord« zu tun haben, wie das Programmheft marktschreierisch anpreist. Um dann, im ersten Jahr des Ersten Weltkriegsgedenkens in diesem Zusammenhang auf die physischen, psychischen und moralischen Zerrüttungen hinzuweisen, die die frische Kriegserfahrung für die Nachkriegsgesellschaft mit sich brachte.

Und weil zu großem Kino immer große Namen, große Stars gehören, das Fest sich in diesem Jahr aber weder an ein großes Filmfest anlehnt noch einem einzelnen Regisseur gewidmet ist, verbinden sich die vielen disparaten Filme zu lauter kleinen Hommagen an einzelne Stars der (diesmal vorwiegend deutschen) Stummfilmgeschichte. Der Berliner Conrad Veidt ist einer von ihnen, vertreten mit gleich acht Filmen, von denen mindestens drei längst zum klassischen Kanon deutscher Filmgeschichte gehören: Robert Wienes früher Horrorfilm »Orlacs Hände« (1924), der in seiner Geschichte von Amputation und Identitätsverlust die Traumata eines Krieges auf ganz eigene Weise verarbeitet, der hunderttausende Invalide zurückließ.

Außerdem Paul Lenis aufwändig ausgestattete Machtmissbrauchsparabel »Das Wachsfigurenkabinett«, in der Emil Jannings, Conrad Veidt und Werner Krauss die wächsernen Abbilder historischer Gestalten wie Ivan der Schreckliche und Jack the Ripper spielen, die in der Erzählung eines Dichters zu nächtlichem Leben erwachen, gedreht in Berlin-Weißensee. Und natürlich der expressionistische Film par excellence, »Das Kabinett des Dr. Caligari«, hier noch nicht in der neu restaurierten Fassung zu sehen, dafür (in seiner ersten Vorführung gleich am ersten Sonnabend) wie bewährt von DJ Raphaël Marionneau musikalisch begleitet.

Mit »Nerven« ist ein Münchner Skandalfilm des Jahres 1919 im Programm, der die kriegsbedingte Zerrüttung gesellschaftlicher Eckpfeiler und des Glaubens an Fortschritt und Moralität an drei Figuren zeigt, die ihren Halt verlieren: der Industrielle, der aufgehört hat, an die Verheißung der Mechanisierung zu glauben, seine Schwester, gespielt von Erna Morena, die einem Reformator und Pazifisten anhängt, und der Pazifist selbst, der von ihr aus unerwiderter Liebe (er ist ein Mann der Ideale und nicht wenig bigott) schließlich der Vergewaltigung bezichtigt wird. G.W. Pabsts Großwerke »Tagebuch einer Verlorenen« und »Die Büchse der Pandora«, beide mit der US-Amerikanerin Louise Brooks (immer gut für einen Skandalfilm), und »Die freudlose Gasse« mit Asta Nielsen und Greta Garbo beweisen die vorübergehende Internationalität der deutschen, insbesondere: der Berliner Filmproduktion. Lya de Putti (aus Ungarn) und Betty Amann (aus der Pfalz) glänzen in E.A. Duponts meisterhaftem »Variété« und in Joe Mays Berliner Korruptionsdauerbrenner »Asphalt«, während die Berliner Göre Ossi Oswalda als Variété-Tänzerin erheblich dazu beiträgt, »Eine tolle Nacht« eines Provinzlers in Berlin aufzumischen.

Und für die angekündigte Erotik sorgt schließlich das einzige Programm, das zeitlich aus dem Rahmen fällt und auch nicht in Deutschland produziert wurde: Die Kurzfilme der Wiener Firma Saturn-Films gehören zum frühesten, was das österreichische Kino an Spielfilmen hervorgebracht hat. Dieser »einschlägige« Katalogversand, 1906 gegründet, wurde ab 1909 aufgrund von Beschwerden aus dem Ausland von der Polizei observiert und 1911 mit der Konfiszierung seines Filmbestandes zur Schließung gezwungen - pikanterweise wohl aufgrund eines frühen Beispiels von Filmpiraterie: Die besonders beanstandeten, hardcore-pornografischen Szenen waren dem moderaten Voyeurismus der Saturn-Filme von Dritten hinzugefügt worden. Mit ihnen ist hier also nicht zu rechnen.

Ein Ausflug ins Babylon zu später Stunde (Sa. 26.7., Mitternacht) lohnt aber auch wegen der neckischen Originale, schon im Jahr 1906 in einer Filmzeitschrift als »hochpikante Herrenabend-Filme« angepriesen. Denn nackt sind in dieser frühen, massenproduzierten Fleischbeschau natürlich nur die Damen.

18.-27.7. Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz 30, Info: Tel. 24 25 969 oder www.babylonberlin.de

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