Wo Natur und Kunst miteinander einig sind

Das Beste von Ahrenshoop - sein Kunstmuseum

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Fischland und der Darß mit dem Ort Ahrenshoop als Angelpunkt ist seit jeher der Geheimtipp für musisch orientierte Naturliebhaber. Beiderlei Geschlechts, versteht sich. Ja, bitte, das ist erwähnenswert. Denn da waltet neben wild ungestümen Naturgewalten ein zartes erotisches Flair. Und wie raffiniert, versetzt mit intellektuellem Geist. Da redete man unbedacht immer nur von einer Künstlerkolonie. Als ob allein die dort einstens sesshaft gewordenen Malerinnen und Maler den Ort ins Gespräch gebracht hätten. Spätestens seit dem wunderbar ausgestatteten und zu Unrecht aus dem Buchhandel verschwundenen 360-Seiten-Buch des Hinstorff Verlages von 2004 »Kunststück Ahrenshoop« ist die höchst ambivalente Einzigartigkeit Ahrenshoops allseits endgültig im Gespräch.

Die Künstlerschaft äußerte sich bereits früh über dort zu erwartende Kunsterlebnisse. Der Zeichner Fritz Koch-Gotha kam in den 20er Jahren von Berlin aus mit seiner Malerfrau Dora Stetter in den Ortsteil Althagen und wurde im Krieg endgültig dort heimisch. Er pries die »Weite zwischen Ostsee und Saaler Bodden, wo an einem großen Himmel ungeheuer sich türmende Wolken nicht mehr Teil der Landschaft sind, sondern für sich bestehen, als Götter-und-Dämonenerscheinungen, wo Blitz und Donner, Sturm und Regen sich aus erklärbaren Naturvorgängen in Unabwendbarkeiten verwandeln, ... wo ich die Sonne wirklich noch als die Spenderin allen Lebens begrüßen kann ...« Ja, und all das und dazu manch Menschliches verwandelte sich unter Menschenhand in Kunst.

Welch seltsam geistig anspruchsvolle Originale waren über dieses erwähnte Ehepaar Koch hinaus doch die Herren Müller-Kaempff, Partikel, Brass oder Hülsse, und die Damen Gerresheim, Woermann, Eicken oder Miethe! Wie wünschten wir, die wir jahrzehntelang wallfahrteten zu diesem Ort an dieser Küste mit diesem Flair, etwas Bleibendes zu behalten von all der Kunst inmitten dieser Natur! Lange nach dem Wirken jener Gründergeneration blieb das im Bewusstsein. Schließlich war jene Zeit entgegen allen dummen Unkenrufen von angeblicher Privilegiererei doch angefüllt mit Leben und Schaffen ganz im Sinne jener! Wer von dem einsamen Refugium Verfolgter redet, war nicht dabei - dieser Kulturbundort war offen für uns alle. Bunte Stube, Kurhaus, Haus Lukas, Kunstkaten. Dort der Nationalgalerie Berlin maritimer Ableger, und allsommerlich unter freiem Himmel verwegene Kunstauktionen. Unvergesslich.

Seit den 90er Jahren kam unvermeidlich die zivilisierende Vervollkommnung der attraktiven »Location«. Bis an die Grenze des Schickimicki wurde nun modernisiert und perfektioniert. Aber gab es nur diese unvermeidbare Begehrlichkeit? Nein. Das Rettende ist nahe, wenn nur ein Retter in Sicht ist. In Person des Sammlers und Mäzens Günter Roese kam sie - naive Begeisterung und solider Kunstverstand mit vor Tatkraft strotzendem Organisationstalent. Viele Mitwirkende für sein Projekt gewann er. Fernab hörte man verwundert von einer kostbaren Sammlung all des Bewahrenswerten. Nunmehr nah dran kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Bereits am Ortseingang grüßen jetzt »Fünf Kuben für die Kunst am Meer«, wie der Flyer der Freunde und Förderer kundtut. Ein metallenes Bauwerk fügt sich harmonisch in gewachsene hölzerne und pflanzliche Natur. Ein Wunder? Ja und nein. Denn wenn der exklusiv kunstsinnige Architekt Volker Staab so etwas in die Hand nimmt, kann es nur gelingen. Wer einmal mit Umbau von Vorhandenem bei Gunzenhauser Chemnitz und Albertinum Dresden für Aufsehen gesorgt hat, möchte auch mal etwas still Intimes völlig neu schaffen. Und damit gleichfalls überzeugen.

Genau das ist exemplarisch gelungen. Die in der Silhouette benachbarten Fischerhäusern nachempfundenen Kuben stehen so ideal verkantet zueinander, dass ein freier Mittelraum entsteht, von dem aus man die fünf gleichgroßen Seitenräume betritt. Das im Bedarfsfall von Kunstlicht ergänzte Sonnenlicht beleuchtet senkrecht von oben die von erlesener Malerei bedeckten Wände. Raum I schaut noch ins vorletzte Jahrhundert zurück. Die 1852 geborene Anna Gerresheim stimmt mit überzarter Koloristik bereits auf »Küste« und »Boddenwiese« ein. Die nur zehn Jahre jüngere Elisabeth von Eicken betrachtet »Herbsttag« und »Frühling«, während der als erster das Künstlervölkchen hier zusammenrufende Paul Müller-Kaempff zu größeren Würfen ausholt: »Abendstimmung am Darß« hat dramatische Wucht, während der weitschweifende Blick auf den einsamen »Schifferfriedhof« auf sensible Weise menschliches Schicksal ins Bild bringt.

Bei allem quer durch das letzte Jahrhundert in Raum II Folgenden sehen wir, wie die Faszination durch die Küstenlandschaft die Erkundung des Menschen nach sich zieht. Das geht schon 1919 mit dem »Bildnis Leo Spies« von Hedwig Woermann los. Der junge Dirigent und Komponist flankiert den »Jungen Mann am Strand« von Dora Koch-Stetter von 1925. Welche Entdeckung, Cesar Klein und Arthur Segal hier zu finden als weltläufigen Gegenbeweis zur Behauptung, eine Künstlerkolonie sei etwas Provinzielles. Der 1939 erst 56-jährig in seinem Ahrenshooper Haus gestorbene Karikaturist Hermann Abeking erstaunt mit dem anklägerischen Bild »Unter Stiefeln« von 1928.

Alfred Partikels fast monochrome Temperaarbeit »Waldinneres« holt das fahle Licht des Abends ins Bild. Mühelos bereits in Raum III dann der Schwenk zu einer Moderne, in der ortsansässige Maler wie Hans Kinder und Hans Brass die immer wieder einkehrenden Gäste Hermann Bachmann und Ulrich Knispel, Harald Metzkes und Dietrich Burger begrüßen. Und selbstverständlich haben Manfred Böttcher, Wolfgang Mattheuer und Hans Vent unkonventionelle Bilder gemalt, die ebenfalls Ahrenshooper Erbe darstellen.

Ahrenshoop, wer will daran deuteln? Mit den Nachbarorten Wustrow, Born, Wieck, Prerow und Zingst zusammen soll es ein (vor allem dort) naturbelassenes künstlerisches Terrain bleiben. Keramiker wie die Klünders und die Löbers bieten greifbare Ästhetik. Künstlerische Weltauffassung wirkt bis ins Meer hinein und querstrandein, wenn das einst von hier aus rundum flächendeckend verbreitete Nacktbaden nach Künstlerart selbstverständlich bleibt. Da nun ein so mustergültiges Museum für all das existiert, gibt es kein Zurück mehr. Videos sorgen für Zusatzinformation. Gegenwärtig Geschaffenes wird keineswegs ausgeblendet. Ein leidenschaftlich motiviertes, weitgehend ehrenamtlich agierendes Aufsichtspersonal ist in jeder Hinsicht auskunftsfähig. Denn noch fehlt ein Katalog für die immerhin schon 250 Bilder und 500 Grafiken der hauseigenen Sammlung. Und nicht zu vergessen - die nun schon traditionelle Kunstauktion hat Jubiläum! Am 2. August findet sie im 40. Jahr statt.

Kunstmuseum Ahrenshoop Sammlungspräsentation 2014. Bis 1.November 2014 Di - So 11 - 18 Uhr Weg zum hohen Ufer 36. 40. Kunstauktion 2. August 19 Uhr Strandhalle Dorfstraße 16 b

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