Mit zwei PS durchs Gehölz

Im Harz helfen Pferde bei der Waldarbeit. Doch für das derzeitige Gespann wird es wohl keine Nachfolger geben

  • Sabrina Gorges, Drei Annen Hohne
  • Lesedauer: 6 Min.
Waldarbeit mit sogenannten Holzrückepferden ist in Deutschland nicht mehr oft zu beobachten. Sachsen-Anhalt besitzt noch zwei dieser Arbeitstiere. Im Nationalpark Harz geben sie ihr Bestes.

Es knackt im Gebüsch. Ein Schnaufen ist zu hören und ein Klappern. Dazwischen ertönen immer wieder Rufe: »Hott!«, »Wüst!«, »Hü!«. Etwas Großes und Schweres schleift über den Boden. Dann brechen zwei kräftige Pferde aus dem Dickicht hervor. Sie ziehen einen mächtigen Baumstamm hinter sich her. »Der Stamm ist etwa eine Tonne schwer«, sagt Erwin Kirchner. Der 57-jährige Gespannführer hält die Pferde an einer langen Leine und muss immer wieder über abgebrochene oder gefällte Baumstämme steigen und herabhängenden Ästen ausweichen. Kein leichter Job. »Ho, ho, ho«, ruft Kirchner. Eros und Max bleiben stehen.

Eros Erlwind von Dobberkau und Max sind die letzten landeseigenen sogenannten Holzrückepferde im rund 25 000 Hektar großen Nationalpark Harz, der zu den größten Waldnationalparks in Deutschland gehört. Holzrücken - so nennt man den Abtransport gefällter und umgestürzter Bäume. Die Pferde gehören dem Land Sachsen-Anhalt, werden aber im ganzen Schutzgebiet eingesetzt - auch in Niedersachsen. Eine fünfstellige Summe waren die heute elf Jahre alten Tiere dem sachsen-anhaltischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt wert.

Kirchner sagt: »Wir haben es rüber gerettet.« Er meint damit, dass es bis 1989 noch 20 solcher Holzrückegespanne im Oberharz gab. Max und Eros sind das dritte Gespann, das seit der Gründung des Nationalparks seinen Dienst tut. »Es wird vielleicht das letzte sein«, sagt Kirchner. Denn wenn er, Kollege Andreas Wolf und die Pferde in Rente gehen, wird sie wohl niemand beerben. »Wer will schon jeden Tag nach Pferd riechen, wenn er nach Hause kommt?« Wehmut liegt in seiner Stimme. »Ein Pferd ist als Waldarbeiter unökonomisch. Es schafft einfach zu wenig.«

Der Waldarbeit wie anno dazumal gehört nicht die Zukunft, mögen die vierbeinigen Landesbediensteten für Hanglagen, Feuchtgebiete und Bergklippen auch noch so gut geeignet sein. Das weiß auch Nationalparkleiter Andreas Pusch. »Die modernen Ansprüche an die Waldentwicklung können von Pferden leider nicht vollständig übernommen werden«, sagt er. »Wir pflegen diese Tradition aber sehr gern, denn die Pferde sind sehr beliebte Sympathieträger.«

Ein »Aha-Effekt«, der vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zum Tragen kommt. Rund 150 Tage im Jahr rücken Max und Eros Holz, an etwa 70 Tagen sind sie »Öffentlichkeitsarbeiter«, die Interesse am Nationalpark zu erwecken vermögen. Den Rest des Jahres haben sie frei. Im Alter von drei Jahren sind die beiden Pferde - ein Rheinisch-Deutsches Kaltblut und sein Westfälischer Kollege - in die Ausbildung gegangen, weitere drei Jahre hat ihre Spezialausbildung zum Holzrücken gedauert. »Nicht alle Pferde kapieren das«, sagt Kirchner, der seit 1978 im Wald arbeitet. »Und wer's nicht kapiert, kommt vor die Kutsche.«

Erwin Kirchner hat seinen Vierbeinern mittlerweile den Hals getätschelt und sie vom Ballast befreit. Der drahtige Mann mit den wachen Augen ist ein echter Altmärker. Er kommt aus der Landwirtschaft und ist seit mehr als 20 Jahren dabei. »Was ein Pferd wiegt, kann es auch ziehen. Der hier ist kein Problem für die beiden«, sagt er und deutet mit der behandschuhten Hand auf den Holzkoloss. Eros und Max bringen zusammen mehr als 1,5 Tonnen auf die Waage.

Der mächtige Fichtenstamm lag in der Nähe des Ufers der Steinernen Renne, aus der einmal der Fluss Holtemme wird. Max, Eros und Gespannführer Kirchner helfen beim Umsetzen einer Renaturierungsmaßnahme. Seit Jahren werden die Uferbereiche von Bächen im Nationalpark von der Fichtenmonokultur befreit und mit jungen Laubbäumen bepflanzt. »Bachfreistellung« nennen Experten das. Nicht nur an Bächen und Flüssen, sondern im gesamten Nationalpark rücken die Waldarbeiter den Fichten zu Leibe - bis zu einer Höhe von etwa 750 Metern. Erst von da an kommen Fichtenwälder natürlich vor.

Martin Bollmann parkt seinen Jeep mit dem Nationalpark-Logo am Rand einer Rückeschneise. Sie ist heute das Ziel der Pferde und ihres Transportguts. Ein Pfad, von dem aus die Stämme mit Maschinen weiterbewegt werden - meist bis zur Abholstraße, wo noch größere Transporttechnik wartet. Manchmal laufen die Pferde auch direkt bis dorthin. Bollmann ist 49 Jahre alt und ein Harzer durch und durch. Er leitet das 1800 Hektar große Revier »Hohne«, eines von zwölf Nationalparkrevieren in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.

Andere Reviere tragen Namen wie »Plessenburg«, »Rehberg« oder »Scharfenstein«. Erst im Frühjahr hat sich ihre Zahl von 14 auf 12 verringert. Die Flächen der Reviere »Jagdhaus« und »Königskrug« - beide liegen in Niedersachsen - wurden auf die anderen Nationalpark-Revierförstereien aufgeteilt. Dem verbliebenen Dutzend gibt Parkleiter Pusch so etwas wie eine Bestandsgarantie. »Die Gäste brauchen auch Ansprechpartner«, sagt er. »Die Revierförster haben viele Sonderaufgaben, zum Beispiel das Leiten der Nationalpark-Werkstätten oder das Spuren der Loipen im Winter.«

Kirchner und Bollmann schütteln sich die Hand. Man kennt sich. Auf dem HohneHof, einem idyllisch gelegenen Natur-Erlebniszentrum bei Drei Annen Hohne, sind Max und Eros zu Hause. Hier arbeitet auch Bollmann. »Ein bisschen weiter unten liegt Schwemmholz«, sagt er zu Holzrücker Kirchner. »Das muss noch rausgezogen werden.« Er stemmt die Hände in die Hüften und schaut zum Ufer der Steinernen Renne. Die Sonne bricht durch die grünen Zweige der jungen Buchen, Weiden und Birken. »Das Gespann ist ein Segen«, sagt er.

Ein paar Autominuten und endlos wirkende Fichtenwälder später sitzt der Forstamtmann auf der Terrasse des HohneHofs. Neben sich eine Tasse Kaffee, seinen Hund Argos und eine Revierkarte. »2013 wurden allein in meinem Bereich 40 000 Buchen gepflanzt«, sagt Bollmann. »Im Gesamtpark sind es zehnmal so viele und in diesem Jahr werden wir etwa auf die gleiche Menge kommen.« Nur Buchen? Soll hier eine Monokultur die andere ersetzen? Bollmann schüttelt den Kopf und hebt die Hände. Argos bellt, als möchte er Herrchens Worten zusätzlich Gehör verschaffen. »Nein, nein. Es gibt Begleitbaumarten wie Roterlen oder Birken.«

Bollmann sagt, im Oberharz gebe es nur zwei Baumarten: Fichte und keine Fichte. Was wie ein Witz klingt, ist Realität. Das »Hohne«-Revier besteht zu 99 Prozent aus diesen immergrünen Nadelbäumen, die zur Familie der Kieferngewächse gehören. Nach und nach wird die Monokultur, die ein Paradies für den Borkenkäfer ist, aufgelockert. Die Macher vor Ort wollen eine faszinierende Wildnis schaffen - im Nationalpark Harz soll die Natur bis 2022 auf drei Viertel der Fläche sich selbst überlassen werden. »Wir sind ein Entwicklungsnationalpark«, sagt Bollmann. »Im angestrebten Naturdynamikbereich machen wir dann im Grunde gar nichts mehr, außer Verkehrssicherung.«

Ist das realistisch? Ja, sagt Parkleiter Pusch. »Schon heute sind 52 Prozent des Nationalparks sogenannte Kernzone. Hier wird die Natur ihrer ureigenen Entwicklung überlassen.« In acht Jahren soll es eine Wildnis geben, wie man sie andernorts in dieser Form gar nicht mehr erleben kann. Und die aktuell 168 Mitarbeiter? Müssen sie Angst um ihren Job haben, wenn in ein paar Jahren die aktive Waldarbeit nahezu komplett eingestellt werden soll?

»Millionen Touristen wollen den Wald erleben, da gibt es immer sehr viel zu tun«, sagt Pusch, für den es eine Ehre wäre, »seinen« länderübergreifenden Nationalpark 2022 aus dem Entwicklungsstatus zu entlassen. »Es ist vergleichbar mit der Arbeit der Förster im Nationalpark Bayerischer Wald. Sie kümmern sich um die Verkehrssicherung, Wegeunterhaltung, Beschilderung, Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen.«

Gearbeitet haben Max und Eros für diesen Tag genug. Feierabend. Auf der Wiese vor ihrem schmucken Stallgebäude auf dem HohneHof grasen sie gemütlich. Kirchner sitzt auf einer Bank und betrachtet seine Schützlinge. Morgen früh wird er die Schwergewichte wieder um sechs Uhr füttern, putzen und anschirren. »Wir wollen doch schließlich noch was bewegen, ein bisschen Geschichte schreiben«, sagt er. dpa/nd

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