Dilemma um die Schrottschiffe

Schiffe aus Europa werden mit Vorliebe in Bangladesch und Indien abgewrackt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Abtransport des havarierten Kreuzfahrtschiffs »Costa Concordia« wird wegen Wind auf Dienstag verschoben. Das Schiff bleibt im Land, kommt nach Genua.

»Costa Concordia« teilt das Schicksal hunderter Kreuzfahrtschiffe, Containerriesen und Öltanker, die jedes Jahr abgewrackt werden. Für die Verschrottung des bei seiner Indienststellung größten italienischen Traumschiffes bewarben sich Firmen aus der Türkei, Norwegen, Großbritannien, Frankreich und China. »Denn Schiffe abzuwracken ist ein profitables Geschäft«, erklärt Patrizia Heidegger von der Nichtregierungsorganisation »Shipbreaking Platform«. Unterm Strich lassen sich Abermillionen Dollar damit verdienen. Dazu werden die Wertstoffe aus den Schiffen ausgebaut, weiter verwendet und verkauft.

Allerdings ist dieses Schrottgeschäft trotz neuester Technik arbeitsintensiv und daher nicht ausreichend lukrativ, um es normalerweise in Europa, Japan oder den USA zu betreiben. So ist die »Costa Concordia« das erste Schiff dieser Größenklasse, welches in Genua verschrottet wird. Die meisten Abnehmer von Wracks und ausgedienten Seelenverkäufern sitzen in Südostasien.

Am Rand des Indischen Ozeans hat sich eine spezielle »Industrie« entwickelt: Die Schiffe werden im Wortsinne auf Sand gesetzt, an einem flachen Strand in einer ruhigen Bucht. So liegen bis zu einem Dutzend unbelebter Frachter auf dem weit abgelegenen Schrottplatz von »Gadani Beach« an der Westküste Pakistans. Am Rande einer Wüste, in glühender Hitze, zerlegen Abwracker die Schiffe Stück für Stück, Stahlwand für Stahlwand mit Schneidbrennern, Stemmeisen und Hämmern in gefahrvoller Handarbeit. »Und unter schrecklichen Arbeitsbedingungen«, klagt Patrizia Heidegger. Selbst Jugendliche, wohl auch Kinder, schuften für den Lebensunterhalt ihrer Familien.

Häufig führt die letzte Reise ans andere Ende des Globus. Im vergangenen Jahr wurden weltweit 1213 Schrottschiffe abgewrackt. Ein Großteil davon gehörte europäischen Firmen. Viele davon landen an Stränden in Pakistan, vor allem aber an den flachen Küsten von Indien und Bangladesch. Auch 2014: Von 286 Schiffen, die von April bis Juni auf die letzte Fahrt gingen, landeten 27 in Pakistan, 43 in Bangladesch und 104 in Indien. Der überwiegende Rest wurde in China und der Türkei verschrottet.

Die Zahl der Abwrackungen dürfte weiter zunehmen. Zum einen sind die Frachter und Tanker aus den 1980er und 1990er Jahren in die Jahre gekommen; zum anderen sorgen steigende Treibstoffpreise und schärfere Umweltschutzauflagen dafür, dass sich neue Schiffe in vielen Fahrtgebieten besser als alte rentieren. Trotz Schifffahrtskrise rüsten viele Reedereien ihre Flotten auf energiesparende Hochtechnologieschiffe um.

Immerhin zeigen die jahrzehntelangen Bemühungen der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO in London langsam Wirkung: Die Anzahl gestrandeter Schiffe ging seit 2012 zurück. Das hat bislang nichts an den katastrophalen Arbeitsbedingungen der Menschen geändert, die auf den Strandschrottplätzen malochen. So schlug »Shipbreaking Platform«, deren Etat zur Hälfte aus Mitteln der Europäischen Kommission finanziert wird, in dieser Woche auf einer Veranstaltung in Brüssel erneut Alarm. Heidegger fordert verbindliche internationale Regeln, um die Arbeiter besser zu schützen.

Und die Branche bewegt sich doch: 2009 verabschiedete die IMO das sogenannte Hongkong-Abkommen - im Juli ratifizierte Frankreich als erstes Land diese Vereinbarung. Und mit der Regierung der weltweiten Nummer Zwei, Bangladesch, schloss die IMO, unterstützt von Norwegen, kürzlich ein Abkommen für »Sicheres und umweltfreundliches Schiffsrecycling« ab. Eine erste weiche Phase soll 18 Monate dauern. Das Dilemma ist nämlich dasselbe wie etwa in der Textilindustrie: Verbessern sich Arbeitsbedingungen und Löhne zu schnell, wandern viele Reeder zu anderen Schiffsfriedhöfen ab. Zurück bleiben arbeitslose Abwracker.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal