nd-aktuell.de / 23.07.2014 / Politik / Seite 5

Im Einzelfall legal

Gerichtsurteil erlaubt Schmerzpatienten den Eigenanbau von Cannabis

Fabian Lambeck
Schwerkranke dürfen Cannabis zu Hause anpflanzen, wenn sie gewisse Auflagen erfüllen. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln am Dienstag in einem wegweisenden Urteil.

Die wirksamsten Arzneimittel bringt immer noch Mutter Natur hervor. Insbesondere Hanf ist in dieser Hinsicht ein Tausendsassa: Er wirkt gegen Appetitlosigkeit, dämpft die Übelkeit bei Chemotherapien und lindert die Schmerzen bei rheumatischer Arthritis und Krebs. Dumm nur, dass Anbau und Besitz von Hanf bzw. Cannabis in Deutschland verboten sind. Das Verwaltungsgericht Köln lockerte am Dienstag dieses Verbot. Zumindest ein bisschen. Der Vorsitzende Richter Andreas Fleischfresser betonte zwar, dass der Cannabis-Eigenanbau strafbar bleibe, aber unter bestimmten Bedingungen als »Notlösung« erlaubt werden könne. Damit gab das Gericht drei der fünf Klagen von Schmerzpatienten statt, die ihr Cannabis zu Hause anbauen wollen, weil sie kein Geld für die Droge haben und die Krankenversicherungen die Kosten nicht übernehmen wollen. Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatte ihre Anträge auf Heimanbau zuvor pauschal abgelehnt. Dabei waren die Fünf im Besitz einer Erlaubnis »zum Erwerb und therapeutischen Konsum von Cannabisblüten«. Seit 2009 dürfen Patienten die ansonsten illegalisierte Droge über Apotheken beziehen. Derzeit gibt es dafür bundesweit rund 270 Genehmigungen. Allerdings ist das Gras dort erheblich teurer als beim Dealer um die Ecke.

Das Kölner Gericht entschied nun, dass das Bundesamt die Anträge in drei Fällen erneut prüfen und genehmigen müsse. Spielraum bleibe der Behörde somit nur noch bei den Auflagen, also etwa der Sicherung der Pflanzen vor kiffenden Einbrechern. Die Voraussetzungen für den Eigenanbau seien »in jedem Fall eingehend und individuell« zu bewerten. Entscheidend ist aus Sicht der Richter, dass »ein Zugriff Dritter auf die Pflanzen und Produkte hinreichend sicher ausgeschlossen werden« kann. Drei der Kläger erfüllten diese Voraussetzung. Ein vierter scheiterte, weil er das Grünzeug in seinem Schlafzimmer unterbringen wollte. Das war für die Richter zu viel des Guten: »Aufgrund der Wohnsituation des Klägers« sei es nicht möglich, die Pflanzen vor dem Zugriff durch Unbefugte zu schützen. Dem fünften Kläger attestierten die Kölner Richter, er habe noch nicht »alle zumutbaren Behandlungsalternativen ausgeschöpft«.

Viel Zustimmung zum Urteil kam am Dienstag von Fachleuten. Auch die Stiftung Patientenschutz begrüßte die Entscheidung der Kölner Richter, forderte aber »vernünftige Cannabis-Preise« in den Apotheken und eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Beifall kam auch vom Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin: »Dieses Urteil wird für die Behandlung von chronischen Schmerzen wegweisend sein und hoffentlich dazu führen, die Indikationen für den therapeutischen Einsatz von Cannabis zu erweitern«, so Verbandsgeschäftsführer Wolfgang Straßmeir. Er schränkte aber ein, dass »diese Patienten strikt nach den Vorgaben der ärztlichen Beratung handeln und Missbrauch durch entsprechende Auflagen vermieden wird«.

Der Arzt Franjo Grotenhermen von der Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente warnte gegenüber »neues deutschland« vor allzu großer Euphorie: »Das Urteil ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber die Bundesrepublik wird sicher in Berufung gehen«, so Grotenhermen, dessen Verein einen der Kläger unterstützte. Nach Rücksprache mit dem Anwalt glaubt der Mediziner, dass »eine endgültige Klärung wohl erst vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgen wird«.

Tatsächlich sind vier der fünf Urteile ausdrücklich zur Revision zugelassen. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte ist dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen bezeichnete das Urteil als »nachvollziehbar und sinnvoll«. »Es handelt sich um eine Notlösung für austherapierte Patienten«, sagte Geschäftsführer Raphael Gaßmann dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. Das Urteil sei auch deshalb nicht kritisch zu sehen, »da der Patient ja schon andere Schmerzmittel konsumiert hat und Cannabis keine kritischere Substanz ist«. Der große Unterschied sei nur, dass das Schmerzmittel nicht aus der Apotheke komme, sondern selbst angebaut wird. »Das heißt, zum ersten Mal entzieht sich die medikamentöse Behandlung dem ökonomischen Kreislauf.« Kommentar Seite 4