nd-aktuell.de / 28.07.2014 / Sport / Seite 18

Die spanische Ära ist noch nicht vorbei

Eusebio Unzue, Teamchef vom enttäuschenden Alejando Valverde bei Movistar, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Tour de France

Jede Tour de France produziert auch Verlierer. Der größte 2014: Alejandro Valverde, der trotz der Ausfälle von Favoriten wie Chris Froome oder Alberto Contador nicht mal auf dem Podium steht. Tom Mustroph wollte für »nd« von Valverdes Movistar-Teamchef Eusebio Unzue wissen, ob die spanische Vormacht im Radsport endgültig gebrochen ist.

nd: Eusebio Unzue, sind Sie von dieser Tour enttäuscht?
Unzue: Nein, in keinster Weise. Wir haben doch bis zuletzt um einen Platz auf dem Podium gekämpft.

Das hat nicht geklappt. Aber, dass der wirkliche Gegner von Alejandro Valverde in Abwesenheit von Froome und Contador nicht der übrig gebliebene Favorit Vincenzo Nibali war, sondern zwei Franzosen, die man vorher gar nicht auf der Rechnung hatte, muss doch sehr enttäuschend sein, oder?
Ja, gut. Wir sind mit dem Ausgang auch nicht zufrieden. Wäre Alejandro aufs Podium gekommen, hätten wir unsere Ziele erreicht.

Was halten Sie von der neuen französischen Garde um den Tourdritten Thibault Pinot?
Die Franzosen haben sich als große Fahrer erwiesen. Wir haben das aber auch schon in anderen Rennen gesehen. Pinot hat sich seit zwei, drei Jahren gezeigt. Neben ihm gibt es Fahrer wie Romain Bardet und Warren Barguil, die alle jung sind und noch viel vor sich haben. Es ist schon ein Glück, wenn ein Land über eine ganze Reihe potenzieller Rundfahrtsieger verfügt, die noch lange aktiv sein können.

Die spanische Ära scheint hingegen zu Ende. Was denken Sie?
Nein. Wir haben doch noch Alejandro. Es gibt Joaquim Rodriguez und Alberto Contador. Der wird nächstes Jahr auf einem noch besseren Niveau zur Tour kommen. Und auch bei dieser Tour haben sich junge Fahrer wie Jon Izagirre und Jesus Herrada gezeigt. Sie können bei den nächsten Rundfahrten eine große Rolle spielen. Seit 27 Jahren haben spanische Radprofis bei der Tour eine gute Figur abgegeben, seit dem zweiten Platz von Pedro Delgado 1987. Nach ihm kam Miguel Indurain, später Alberto Contador. Das war eine große Ära. Aber es wird immer einen geben, der mithalten kann, auch mit den Franzosen.

Oft wird gesagt, die goldene spanische Ära sei vor allem an Doping gebunden gewesen. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, Doping hat den spanischen Radsport wie auch den Radsport in vielen anderen Ländern im gleichen Zyklus bedroht, nicht mehr und nicht weniger.

Wäre diese Tour mit Contador und Froome anders verlaufen?
Nicht grundsätzlich. Nibali hätte zwar etwas mehr Probleme gehabt. Aber er hat große Fortschritte gemacht, auch im Zeitfahren und hat hier für große Differenzen gesorgt. Er hat in der Vergangenheit schon die Vuelta und den Giro gewonnen und ist im Moment der Mann, der am ehesten für Rundfahrtsiege in Frage kommt. Er hat Erfahrung gesammelt, verfügt über eine gute Regeneration und kann noch einige Rundfahrten gewinnen.

Ist er größer als Froome oder Wiggins, weil er alle drei Rundfahrten gewonnen hat und auch bei den Klassikern gut dabei ist?
Das kann man so nicht sagen. Froome hätte ja beinahe auch die Vuelta 2011 gewonnen und die Tour 2012. 2013 hat er es dann in Frankreich geschafft. Nächstes Jahr werden wir einen ganz großen Froome erleben.

Und was macht Nairo Quintana, Ihr großes Movistar-Talent, 2015?
Nairo ist auch einer aus dieser 90er Generation. Er war mit 23 Jahren Zweiter bei der Tour und hat mit 24 seine erste Rundfahrt, den Giro gewonnen. Jetzt soll er zur Vuelta antreten und Schritt für Schritt wachsen. Zur Tour 2014 haben wir ihn nicht mitgenommen, weil er erst bei einer Rundfahrt, in der der Druck geringer ist, seine Rolle als Kapitän finden soll. Er ist ein Teil der Generation, die in den nächsten Jahren die Tour dominieren wird. Neben ihm und den Franzosen möchte ich noch Tejay van Garderen nennen. Aber es gibt jedes Jahr neue Fahrer, die wie frischer Sauerstoff für das Peloton wirken.

Eine Prognose für das Podium 2015?
Nairo wird auch eine Rolle spielen, gewiss. Aber wir dürfen nicht Froome und Contador vergessen, und natürlich nicht Nibali, und auch nicht den Rest der 90er Generation.