Verzicht auf die Zierschleife

Auch im Südwesten fällt der Krawattenzwang für Anwälte

  • Christine Cornelius, 
Mannheim
  • Lesedauer: 3 Min.

Christoph Saeftel mochte Krawatten noch nie. Die letzte habe er vor etwa sechs Jahren getragen, auf einer Beerdigung, sagt der Mannheimer Rechtsanwalt. »Die Krawatte ist einfach ein lächerliches Stück Stoff.« Vor Gericht erscheint er stets schlipslos. Ab dem 1. August ist der 48-Jährige damit nun rechtlich auf der ganz sicheren Seite.

Denn von diesem Datum an tritt auch in Baden-Württemberg eine reformierte Amtstrachtverordnung in Kraft. Ein entscheidender Satz der vorigen Fassung von 1976 fehlt darin: »Die Amtstracht der Rechtsanwälte entspricht der Amtstracht der Richter und Staatsanwälte.« Diese müssen weiter zu Krawatte oder Fliege greifen.

Baden-Württemberg liegt damit bundesweit im Trend und folgt zum Beispiel Schleswig-Holstein, wo es die verordnete Krawatte für Anwälte ebenfalls seit Kurzem nicht mehr gibt. In Hamburg etwa gilt sie laut Justizbehörde noch.

In der Praxis geht es vielerorts aber schon lange lascher zu als die jahrzehntealten Ordnungen vermuten lassen. »Wenn mal ein Anwalt sagt, er habe seine Krawatte vergessen, würde ich da kein Aufhebens drum machen«, sagt der Mannheimer Richter Joachim Bock. »Ich achte da gar nicht so sehr drauf.«

Manche Richter sind allerdings strenger: Mit der Änderung reagiert Baden-Württembergs Justizministerium auch auf einen Fall, der vor einigen Jahren als »Mannheimer Krawattenstreit« Schlagzeilen machte. Anwalt Saeftel spielte darin eine entscheidende Rolle: Er erschien - wie immer - ohne Schlips in der Verhandlung und geriet darüber mit einem Richter des Mannheimer Amtsgerichtes aneinander. Seinen Mandanten durfte er wegen seiner Krawattenlosigkeit nicht mehr vertreten. Saeftel legte dagegen Beschwerde vor dem dortigen Landgericht ein - und bekam Recht: Die Strafkammer fand die Aktion des Richters unverhältnismäßig.

Für den Anwalt ist es ein Triumph, dass die Krawattenpflicht in seinem Bundesland nun Jahre später auch offiziell wegfällt. »Im Nachhinein denke ich natürlich mit einem Lächeln daran zurück.«

Eigentlich könnten die Länder den Anwälten allerdings sowieso nicht vorschreiben, was sie vor Gericht anzuziehen haben, sagt Anwalt Frank Johnigk von der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin. »Da haben sie keine Regelungskompetenz. Schließlich sind Anwälte keine Landesbeamten, anders als Richter und Staatsanwälte.« Behaupteten die Länder etwas anderes, stünden sie damit rechtlich auf wackeligen Füßen.

Aus modischer Sicht mag es mancher bedauern, wenn nun immer weniger Anwälte in Krawatte zu sehen sind. »Ich begrüße es zwar, dass der Zwang aufgehoben ist, freue mich aber, wenn es die Anwälte trotzdem machen«, sagt der Präsident des Verbandes deutscher Mode- und Textildesigner, René Lang. »Wenn man Mode freiwillig angeht, macht es viel mehr Spaß.« Generell sieht er eher eine Bewegung hin zur Krawatte. »Der Trend geht dazu, sich wieder feiner zu machen, sich wieder edler anzuziehen.«

Anwalt Saeftel wird diesem Trend wohl nie folgen. Auch zu seiner Hochzeit trug er keinen Schlips. »Ich fühle mich einfach eingeengt«, sagt er. »Eine Krawatte ist wie eine Verpackungsschleife, die soll doch ablenken.« Immerhin: Einen Krawattenknoten kann er noch, wie er sagt. »Ich bräuchte aber wahrscheinlich mehrere Anläufe.« dpa/nd

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