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Würden wir einander so viel Aufmerksamkeit geben ...

Gabriel Rolón, Psychoanalytiker und Medienstar, führt vor, was Menschen alles für Probleme haben

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Solchen Büchern ist Erfolg vorbestimmt. Femde Geistesverwirrungen - wie interessant! Was es nicht alles gibt! Und so fremd ist es einem gar nicht. Man hat von anderen schon davon gehört, vielleicht kennt man ja sogar manches von sich selbst. Wer lag schon »auf der Couch« bei einem Psychoanalytiker? Vielleicht mehr Leute, als man denkt.

Indes, was dort gesprochen wird, sollte eigentlich nicht aus dem Behandlungsraum hinausdringen. Aber wir leben in einer voyeuristischen Gesellschaft, die kaum ein Geheimnis mehr unangetastet lässt. Und wenn auch niemand gern selbst betroffen wäre, ist doch kaum jemand frei von der allgemeinen Beobachtungsgier, die Privatestes ans Licht der Öffentlichkeit holt.

Gabriel Rolón, geboren 1961 in Buenos Aires, ist Psychoanalytiker und zugleich ein Mann der Medien. Dass er durch Radio- und Fernsehsendungen berühmt ist, kommt ihm beruflich zugute. Leute sprechen ihn auf der Straße an und bitten um Hilfe. Sie vertrauen ihm, weil sie ihn schon auf dem Bildschirm gesehen haben. Und greifen wahrscheinlich einigermaßen tief in die Tasche, denn diese Art Behandlungen brauchen Zeit und müssen bezahlt werden; manch einer verbindet sich ein Leben lang mit »seinem« Therapeuten.

Gewiss hat Gabriel Rolón die Namen der auftretenden Personen geändert. Wahrscheinlich hat er sogar mehrere Fälle zu interessanten »Erzählungen« zusammengefasst. Da ist er nicht der einzige Psychologe, der literarisch reüssiert. Man denkt an den älteren Jorge Bucay, auch aus Argentinien, oder an Francois Lelord aus Frankreich, die regelrecht zu Bestsellerautoren geworden sind. Nicht allein, dass sie die Neugier von Lesern an vermeintlich authentischen Lebensrätseln befriedigen, sie schenken ihnen nebenbei auch selbst eine Therapie. Es ist ein Merkmal solcher Bücher, dass man sie irgendwie gestärkt wieder zuklappt, sofern man bis zum Schluss durchgehalten hat, weil sie natürlich voller Binsenweisheiten stecken.

Laura kommt mit ihrem Mann nicht zurecht, sie wollen sich trennen. Nun glaubt sie, dass auch andere sie verlassen würden. Oder war diese Angst schon in ihrer Kindheit begründet? Mariano kann sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden. Seine Ehefrau liebt er, seine Geliebte begehrt er. Durch einen Zufall fliegt das Spiel auf, nun hat er wirklich ein Problem. Cecilia kann tun, was sie will, sie nimmt immer mehr zu und fühlt sich deprimiert. Darío anderer leidet unter seiner Eifersucht und lässt auch seine schöne Freundin leiden ... Und so weiter und so fort. Man staunt: Meinst geht es um ganz Privates, die Arbeitswelt bleibt weitgehend außen vor. Konflikte dort spielen ja für die Psychoanalyse nur insofern eine Rolle, dass sie tiefere Wurzeln haben. Trifft das für alle wesentlichen Probleme zu? Geht es einem besser, wenn man die Wurzeln erkennt? Die Jünger Freuds meinen das. Dabei ist vieles von dieser Lehre in den letzten Jahrzehnten schon in einem Maße trivialisiert geworden, dass mancher meint, sich selbst und andere analysieren zu können. Die Lektüre dieses Buches mag noch mehr Leute zum Glauben verführen, sie könnten diesbezüglich Könner sein.

Interessant in den Geschichten Rolóns ist die Art, wie er fragt. Er lässt sich ganz auf den Gegenüber ein, lauscht seinen Worten und dem, was sich dahinter verbirgt, freut sich über jeden Versprecher. Er schenkt eine Aufmerksamkeit, wie sie im alltäglichen Miteinander meist fehlt. Genauer gesagt, er verkauft sie. Aber viele Therapeuten meinen ja auch, dass der Austausch Geld-Leistung zum Heilerfolg gehört. Nur das, wofür du bezahlst, sei dir was wert. Kapitalistische Warengesellschaft, städtisches Milieu: Auf dem Buchumschlag steht, dass es in Buenos Aires mehr Psychoanalytiker als Tangolehrer gibt. Das stimmt nachdenklich.

Gabriel Rolón: Auf der Couch. Wahre Geschichten aus der Psychotherapie. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Verlag btb. 255 S., geb., 18,99 €.

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