»Supra« - der Traum vom großen Fest im Haus Europa

Georgische Kulturtage vom 1. bis 30. August in Berlin: Feierlaune vor ernstem Hintergrund

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

»Tamada« - gerade von den Lesern dieser Zeitung kennen manche dieses Wort. Einige sind vielleicht gar schon einmal in Georgien gewesen und schwärmen heute noch von der Gastfreundschaft dort. Der »Tamada« gehört dazu. Bei Tisch wird er gewählt, wenn es nicht sowieso schon klar ist, wer am besten das Fest leiten und Trinksprüche entbieten kann. Zuerst wird wahrscheinlich auf das Wohl der Gastgeber das Glas erhoben, auf Georgien und das Andenken der Verstorbenen, auf die Familie, die Frauen. Da kann man den Wein nicht einfach so hinunterstürzen, sondern muss auch überlegen, was man vielleicht selber Originelles beitragen könnte.

Die Kunst des Tamadas darf nicht fehlen bei den Georgischen Kulturtagen vom 1. bis 30. August in Berlin. Noch viel weniger natürlich der Wein. Im Museum für Europäische Kulturen, Hauptschauplatz der Veranstaltungen, wird bis 5. Oktober die Ausstellung »Wein-Kultur« gezeigt, und am 31. Juli gibt es dort nach der offiziellen Eröffnung schon mal ein Gartenfest mit der georgischen Musikgruppe »The Shin« und mit einer Atmosphäre, die das Motto dieser Kulturtage spiegeln soll: »Supra«.

»Supra« - das ist ein Gastmahl besonderer Art. Kulinarische Genüsse gehen mit geistigen in eins. Gemeinsames Essen, Tanzen, Singen - gute Gespräche, nicht zu vergessen.

Musikalische Höhepunkte sind am 9. August ein Kammerkonzert und am 28. ein Auftritt des Ensembles »Suliko«, das den traditionellen mehrstimmigen Gesang kultiviert. Es gibt Vorträge - über die Tradition der deutsch-georgischen Beziehungen (14.8.), über den Ikonenschatz von Swanetien (21.8.), über die schon gerühmte georgische Küche und Festtradition (16.8.). In einer Podiumsdiskussion wird es um Weltbilder und Hoffnungen von Jugendlichen aus der Kaukasusregion - Georgien, Armenien und Aserbaidshan - gehen (19.8.). Und es gibt einen Abend mit der Autorin Nino Haratischwili (23.8.), deren Roman »Mein sanfter Zwilling« von einer schwierigen Liebesbeziehung handelt und in der Frankfurter Verlagsanstalt erschien.

Ein Kulturfest, bei dem man den ernsten politischen Hintergrund vielleicht gar nicht spürt. Wie schön, wenn gleich am 2. August zu einem abchasischen Kulturabend eingeladen wird - Gelegenheit, ins kulturelle, musikalische und kulinarische Leben dieser Region am Schwarzen Meer einzutauchen, wo viele Menschen ein hohes Alter erreichen.

Doch was viele vielleicht gar nicht wissen: Von Reisen nach Abchasien mit den berühmten Schwarzmeerkurorten Suchumi, Gagra, Pizunda rät das Auswärtige Amt derzeit ab. Denn im Hintergrund schwelt ein Konflikt, der in den vergangene Jahren auch kriegerisch war: Abchasien, inzwischen de facto ein selbstständiger Staat, wird de jure von Georgien als eigenes Gebiet betrachtet. Dabei geht es, wie so oft, um Einflusssphären der Großmächte. Georgien hat ein Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen und will langfristig der NATO beitreten. Abchasien ist, auch militärisch, mit Russland verbunden. Parallelen zur Ukraine drängen sich auf, die jetzt als Militärverbündeter der USA anerkannt sein will, woraufhin Russland in puncto Aufrüstung die Muskeln spielen lässt.

Eine neue Phase des Kalten Krieges scheint sich anzubahnen. Was unsereins Angst macht, die wir von Frieden träumten im europäischen Haus. »Supra« der Völker, so verschieden sie auch wären in ihrer Geschichte und konkreten politischen Verfasstheit: Man respektiert einander, drückt niemanden an die Wand. Man bittet einander um Vergebung für frühere Verletzungen. Als unedel gilt das Ausnutzen fremder Schwäche, zumal man weiß: Fremde Demütigung schlägt irgendwann auf einen selbst zurück.

»Supra«, im kleinen möglich, aber im Großen ein Traum. Wir werden vielleicht keine andere Welt mehr erleben als die, in der das Recht des Stärkeren dominiert. Wer nicht ohne Rücksicht dem eigenen Vorteil folgt, der gilt als schwach. Wenn ein Machthaber so agieren würde, müsste er sehr stark sein, andernfalls haben er und sein Volk nur Schaden davon.

Ritterliche Tugenden - vielleicht weiß man in Georgien noch besser als anderswo, was das ist. Eine Kultur des Verhaltens, die durchaus mit »Supra« in Zusammenhang steht. Großzügigkeit, Haltung zeigen, Sinn für Tradition und nicht zuletzt die Kunst zu feiern, so wie es Deutsche womöglich nicht können. »Supra«, »Kartweloba« (Georgiertum) - wir werden erleben können, was das heißt.

Alle Veranstaltungen ab 18 Uhr im Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, Berlin-Dahlem.

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