Nützlich oder nicht

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGel) sind für den Patienten nicht immer von Vorteil

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 3 Min.
Patienten sind eine kaufkräftige Zielgruppe der Gesundheitsbranche. Ein Trommelfeuer an Werbespots mit Gesundheitsversprechen prasselt täglich auf sie nieder. Doch was hilft ihnen wirklich?

Patienten sind zugleich auch Verbraucher - allerdings solche der besonderen Art. Ihr Konsum an Arznei-, Hilfs- und Heilmitteln sowie an stationären und ambulanten Dienstleistungen belauft sich auf 350 Milliarden Euro im Jahr - aufzubringen durch die gesetzlichen und privaten Kassen, durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Öffentliche Hand und in zunehmendem Maße die Patienten selbst. Die werden von Ärzten, Apotheken und Pharmafirmen aufgefordert, zu den von ihren Kassen getragenen Mitteln und Methoden sich noch weitere dazu zu kaufen und dazu »ihren Arzt oder Apotheker« zu befragen. Beide Berufsgruppen arbeiten jedoch nicht nur für den gemeinschaftlichen Nutzen, sondern auch für den eigenen.

Patient und Arzt sind zwei Geschäftspartner, wenn auch häufig zu Lasten Dritter (Krankenkasse). So jedenfalls sieht es die Verbraucherschützerin und Expertin für Patientenrechte Daniela Hubloher. Etwa die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte verschreibe mittlerweile neben den üblichen Kassenrezepten auch immer häufiger sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen, abgekürzt IGel. Waren es beim Start vor zehn Jahren etwa 70 Leistungen, stehen inzwischen gut 300 Posten auf der IGel-Liste. Ihnen gemeinsam ist, dass sie zwar von Ärzten empfohlen werden, aber für die Kassen tabu sind, weil sie nicht die Kriterien für Kassenleistungen erfüllen, die nach deren Leistungskatalog vor allem »ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich« zu sein haben. Ein gutes Nebengeschäft für die Mediziner, meint Hubloher. Für die IGel-Behandlung kassierten diese oft erhöhtes Honorar. Der Patient muss jedenfalls IGel allein bezahlen - es sei denn, seine Krankenkasse erstattet die entsprechende Behandlung als freiwillige Leistung. 2013 kosteten die IGel die Patienten rund 1,5 Milliarden Euro - 500 Millionen mehr als noch vor vier Jahren.

Patientenrechte

• Bisher waren die Rechte der Patienten in Deutschland in verschiedenen Gesetzen verstreut und sehr unübersichtlich dargestellt. Sie wurden durch die Gerichte interpretiert und näher konkretisiert. Auch spezielle Regeln in der Arzthaftung sind von den höchsten Gerichten entwickelt worden. Im neuen Patientenrechtegesetz sind sie gebündelt worden. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist über den Behandlungsvertrag nun im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Dazu zählen etwa das Aufklärungsgespräch und die Einsicht in die Patientenakte. So haben Patienten eine deutlich bessere Grundlage als in der Vergangenheit erhalten, um ihre Rechte einzufordern.

• Niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser sind verpflichtet, Fehler, die bei der Behandlung unterlaufen oder beinahe unterlaufen sind, zu dokumentieren und auszuwerten. So soll man Risiken erkennen und minimieren können. Das Verfahren bei Behandlungsfehlern ist zugunsten der Patienten vereinfacht worden.

• Patienten müssen umfassend und verständlich über Ihre Behandlung informiert und aufgeklärt werden. Dies reicht von den erforderlichen Untersuchungen über die Diagnose und die beabsichtigte Therapie bis hin zur voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung.

• Eine umfassende Information und Aufklärung beinhaltet zudem, dass über Risiken und Chancen der Behandlung gesprochen wird. Stehen mehrere Behandlungsmöglichkeiten zur Auswahl, die jedoch mit unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen verbunden sind, muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden.

• Ist für den Arzt absehbar, dass die Kosten der von ihm vorgeschlagenen

Behandlung nicht übernommen werden, muss er dies seinem Patienten ebenfalls mitteilen. rb

 

Knapp ein Drittel aller Patienten greift dennoch auf IGel zurück. An erster Stelle stehen dabei Ultraschall-, Blut- und Glaukom-Untersuchungen, aber auch bestimmte Verfahren der Krebsfrüherkennung, Impfungen vor Fernreisen, Alternative Therapien (etwa Elektro-Akupunktur) oder die kosmetische Entfernung von Warzen und Tätowierungen. Dabei geht es oft um beträchtliche Summen. Für eine Graue-Star-Operation beim Augenarzt zahlt der Patient rund 1000 Euro extra für einen angeblich gegenüber der Standard-Operation effektiveren Eingriff per Laser. Augenärzte seien neben Gynäkologen die Fachrichtung, die am meisten auf IGel setze. Das neue Patientenrechtsgesetz, darauf weist Hubloher ausdrücklich hin, schreibe den Ärzten nunmehr vor, ihre Patienten nicht nur ausführlich über die Behandlung zu informieren und aufzuklären, sondern ihnen auch vorab die voraussichtlichen Kosten mitzuteilen. Zudem ist der Arzt verpflichtet, vor der Behandlung einen schriftlichen Vertrag über die notwendigen Maßnahmen abzuschließen. Hubloher rät bei Zweifeln, sich die Meinung eines zweiten Arztes einzuholen oder die Verbraucherzentralen bzw. die Unabhängige Patientenberatung mit ihren bundesweit 21 Filialen und einer Telefon-Hotline in Anspruch zu nehmen.

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