Autonomer Aufklärer

Oskar Negt wird 80

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 2 Min.

Die sogenannte Frankfurter Schule war keine Schule, sondern die dort Lernenden und Lehrenden gingen immer unabhängige Wege. Auch Oskar Negt, der bei Adorno und Horkheimer studierte und Assistent von Habermas war, lehnt einen schulischen Dogmenkanon ab. Das Label »Kritische Theorie«, unter das die Frankfurter auch rubriziert wurden, war im Klima des Kalten Krieges ein Deckname für eine an Marx’ Theorien anknüpfende Konzeption von Philosophie, Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik.

1969 gehörte Negt zusammen mit Klaus Vack, Andreas Buro, Frank Deppe , Arno Klönne, Wolf-Dieter Narr, Elmar Altvater, Joachim Hirsch u. a. zu den Begründern oder frühen Mitgliedern des Sozialistischen Büros Offenbach, einer lockeren Organisation von Intellektuellen, die den Weg der Normalisierung der BRD zur »formierten Gesellschaft«, wie sie Ludwig Erhard vorschwebte, nicht mitgehen wollten. Der Terminus »formierte Gesellschaft« stammte von Rüdiger Altmann, einem Schüler von Carl Schmitt und CDU-Politiker. Negts Verständnis von »Kritischer Theorie« zeichnete sich von Anfang dadurch aus, dass er theoretische Einsichten immer auch praktisch umgesetzt wissen wollte. Das führte ihn in die Nähe der IG Metall, deren Vorsitzender damals Otto Brenner war. Negt bezeichnet sich als Schüler von Otto Brenner und Adorno. Gefördert wurde Negt auch vom Gewerkschafter und späteren SPD-Minister Hans Matthöfer, der Negt für die hauptamtliche gewerkschaftliche Bildungsarbeit gewinnen wollte. Doch damit biss er beim Vorstand der IG Metall auf Granit. So betrieb Negt nur nebenamtlich gewerkschaftliche Jugendarbeit, zu der er bahnbrechende Konzepte wie das des »exemplarischen Lernens« entwickelte.

Neben Arbeit, Öffentlichkeit, Würde und Autonomie ist Bildung ein Schwerpunkt in seinem Schaffen. Bildung, getragen vom kantianisch geprägten Vertrauen auf die Vernunftfähigkeit der Menschen und die Notwendigkeit sozialer Zusammenhänge, stand für ihn im Zentrum seines politisch-praktischen Engagements wie seiner aufklärerisch-philosophischen Interessen. 1972 gründete er in Hannover eine alternative Schule mit, die bis heute besteht.

In den zahlreichen Büchern, die Negt während seiner Lehrtätigkeit in Hannover (1970-2002), teilweise zusammen mit Alexander Kluge verfasste, blieb die emanzipatorische, antiautoritäre Grundierung immer erhalten. Für die seichte Prosa von 68ern, die sich weichspülten, hat er nur Hohn übrig.

Der als Sohn eines Bauern 1934 geborene Hannoveraner Professor für Philosophie und Soziologie, feiert heute seinen 80. Geburtstag.

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