Ein Licht des Gemeinsinns

Gerhard Lau ist es zu verdanken, dass der Warnemünder Leuchtturm für Besucher offen ist. Von Ditte Clemens

  • Ditte Clemens
  • Lesedauer: 7 Min.

Gerhard Lau hat vor 20 Jahren dafür gesorgt, dass sich für uns alle endlich wieder eine Tür öffnet. Man muss nur einen kleinen Obolus entrichten und bereit sowie in der Lage sein, 135 Stufen zu erklimmen. Und dann? Dann ist man für einen Augenblick dem Himmel so nah.

Ich bin in Warnemünde mit dem Mann verabredet, der sich nicht damit abfinden wollte, dass die Tür des Leuchtturms nach der Sanierung von 1982 bis 1990 für Besucher geschlossen bleiben sollte. Gerhard Lau wollte nicht akzeptieren, dass betriebene Leuchttürme in der Bundesrepublik nicht betreten werden dürfen. Der Warnemünder Leuchtturm war schließlich seit seiner Errichtung im Jahre 1898 und auch zu DDR-Zeiten, im Grenzgebiet, immer allen zugänglich gewesen.

Gerhard Lau war 1990 nach seiner Tätigkeit im Institut für Kulturbauten in Berlin zum Denkmalamt der Hansestadt Rostock gewechselt. Er hatte gerade eine Broschüre über Denkmale in Warnemünde veröffentlicht und sich deshalb intensiv mit dem Leuchtturm beschäftigt. Die Frage, wie man Kindern und Erwachsenen ein so eindrucksvolles maritimes Bauwerk begreiflich machen soll, wenn sie es nicht betreten dürfen, trieb ihn um. Und deshalb wurde er beim Rostocker Oberbürgermeister und beim Chef des Wasser- und Schifffahrtsamtes vorstellig. Gerhard Lau wurde eingelassen und traf auf offene Ohren. Aber Voraussetzung war die Gründung eines Fördervereins. Und so hielt er Ausschau nach seiner Mannschaft. Aber dazu später.

Ich freue mich auf das Treffen mit dem 77-Jährigen. Mit ihm will ich den Turm besteigen, der 2008 Motiv für eine Briefmarke und 2010 für das Plakat zum Film «Shutter Island» war, in dem Leonardo DiCaprio die Hauptrolle spielt. Wie der Warnemünder Leuchtturm auf das Plakat kam, habe ich leider nicht herausgefunden. Heute herrscht Götterwetter im Seebad. Sonne satt, aber Wind leider ebenso und dann noch einer von der eiskalten Sorte. Dieser lausig kalte Wind weht uns beim Ausblick auf der ersten Plattform kräftig um die Nase. Auf der zweiten Plattform habe ich tatsächlich das Gefühl, auch auf den Wangen Gänsehaut zu haben. Eine junge Frau neben mir bibbert ebenfalls. Und dennoch genießen wir den Blick auf das Meer und den Himmel.

Ein kleiner weißer Punkt auf der Ostsee wächst zur Fähre heran. Die Weite des Meeres liegt uns zu Füßen und ganz Warnemünde, wenn man auf der Plattform eine Runde gedreht hat. Das einstmals kleine Fischerdorf an der Mündung des Flusses Warnow hat sich Rostock bereits 1323 einverleibt, als ein Herzog in Geldschwierigkeiten steckte. Dieser Ort ist kein armes Würstchen mehr, sondern die Perlenbrosche an Rostocks prächtigem Gewand. Im Sommer werden hier die Parkplätze knapp, und am Strand wird es mächtig eng.

Heute sieht der fast menschenleere Strand wie ein riesiger ausgerollter Mürbeteig ohne Belag aus. Bei diesem Wind sonnt sich dort keiner. «Und verbandelt wird auf dem Leuchtturm heute auch niemand», sagt Gerhard Lau. Er erzählt mir von einer Turmzeremonie, die bei Brautpaaren äußerst gefragt ist. Empfangen wird die Hochzeitsgesellschaft von einem Drehorgelspieler. Es wird ein Knurrhahn kredenzt. Das ist feinster Warnemünder China-Magen-Likör, den die Apotheke am Kirchplatz nach geheimer Rezeptur herstellt. Verbandelt wird das Brautpaar mit einem um ihre Handgelenke gebundenen Seil. Vom Turm flattert als Geschenk ein nach ihren Wünschen gestaltetes überdimensionales Tuch, und dann fliegen auch noch Luftballons mit Hochzeitskarten in den Himmel. Die Vorbereitung für so eine Verbandelung sind bannig, wie die Leuchtturmmänner sagen. Mehr als 20 in einem Jahr sind nicht zu schaffen, und für 2014 gibt es bereits 13 Anmeldungen.

Berauscht von den himmlischen Aussichten gehen wir die 135 Stufen wieder hinunter. Meine Blicke streifen Steine im Inneren des Turms. Auf ihnen sind Initialen und Daten zu sehen. Und plötzlich entdecke ich den Namen einer Frau, die sich hier 1949 verewigt hat und genau aus der Stadt kam, aus der ich heute angereist bin. Gerhard Lau zeigt mir Inschriften im Turm, die mehr als hundert Jahre älter sind.

Dann stellt er mir zwei seiner Leuchtturmmänner vor. Sie schmunzeln, als die junge Frau, die oben mit mir um die Wette gebibbert hat, laut sagt: «Mensch, Mensch, Mensch, was habt ihr nur für einen tollen Strand, den hätte ich als Kielerin auch gerne.» Ja, die Warnemünder können sich damit brüsten, den breitesten Sandstrand an der ganzen deutschen Ostseeküste zu besitzen. Die junge Frau beneidet die Männer wohl auch um ihre dicken Steppwesten. Die müssen sie auch tragen, denn die Tür zum Leuchtturm steht offen, und es zieht wie Hechtsuppe. Ich bin froh, dass Gerhard Lau in unmittelbarer Nähe vom Leuchtturm mit mir noch einmal Treppen hinuntersteigt. Aufwärmen in der Bodenstation. Hier ist ein Museum eingerichtet und die ganze Mannschaft zu sehen. Porträts von den Männern vom Vorstand und von den 15 Leuchtturmmännern hängen an der Wand.

Vor 20 Jahren hatte Gerhard Lau in einer Annonce geschrieben: «Gesucht wird die Crew für den Leuchtturmverein und eine kleine Heuer als Aufwandsentschädigung wird auch gezahlt.» Gerhard Peine, einer der Leuchtturmmänner, fing bereits bei der ersten Zusammenkunft Feuer, denn die sich bildende Gemeinschaft machte auf ihn einen guten Eindruck. «Es waren doch alles erfahrene und qualifizierte Männer aus der See- und Hafenwirtschaft, der Landwirtschaft u.a., die in den so genannten Wendejahren mehr oder weniger unsanft aus ihrer bisherigen Tätigkeit herausgerissen wurden und sich auf neue, ungewohnte Lebensverhältnisse einstellen mussten», erinnert sich Peine. Von seinem persönlichen «Aufstieg Ost» zu einer etwas «gehobenen Position» in etwa 35 Metern Höhe berichtet er in einem der «Tidingsbringer», was Nachrichtenübermittler bedeutet. Es ist ein Warnemünder Bäderjournal mit Warnemünder Geschichte und Geschichten. Gerhard Lau erzählt, dass er vor 18 Jahren noch lange überlegt hatte, ob unter der ersten Ausgabe eine «1» stehen sollte, weil er befürchtete, dass keine weitere Ausgabe entsteht. Inzwischen sind 18 «Tidingsbringer» da. Das Journal wird weit über die Landesgrenzen hinaus gelesen, und einmal kam sogar Leserpost aus Peking.

«Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg», heißt es bei Henry Ford. Der Verein arbeitet äußerst erfolgreich. Neben den Turm- und Museumsführungen hat er zahlreiche Broschüren und Bücher veröffentlicht. Ihm ist die jährliche Instandhaltung des Leuchtturms zu verdanken und die Förderung von bisher 157 Projekten und noch vieles mehr. Ohne diesen Verein gäbe es nicht die Adventsveranstaltung, bei der 3000 Menschen gemeinsam Weihnachtslieder singen. 70 000 Menschen kommen inzwischen zu der halbstündigen und legendären Neujahrsveranstaltung «Leuchtturm in Flammen».

Für vieles, was der Verein auf die Beine stellte, war Gerhard Lau der Ideengeber. Bei den Erinnerungstafeln war er ebenfalls der Initiator. Eine gibt es jetzt auch für Ringelnatz. In der Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des Vereins schreibt Gerhard Lau, dass Ringelnatz 1913 beim Warnemünder Seeflugzeug Versuchskommando diente. «Und sein Mädchen hieß ›Meta‹, die hier mit ihrer Schürze herumlief, um ihn aufzufangen, falls er herunterstürze.»

Geschichten über Warnemündes Geschichte kennt Gerhard Lau zur Genüge. Mit vielen Menschen aus Warnemünde hat er bisher immer nur Platt gesprochen. Gelernt hat er das von seiner Mutter. «Meinen Großvater», sagt er, «habe ich nur einmal Hochdeutsch sprechen gehört. Das war bei einer Hochzeit, wo er Plattdeutsch wohl nicht für schicklich hielt. Das muss Anfang der 70er Jahre gewesen sein, nach Ulbrichts Entmachtung, denn Großvater erklärte den Gästen im gestelzten Hochdeutsch, jetzt sei Honecker über uns gekommen.

Gerhard Lau ist gebürtiger Rostocker. Er hat als Kind dort den Krieg erlebt. »Ich war sechs Jahre alt, als meine Mutter, meine Schwester und ich 1942 ausgebombt wurden«, erzählt er, »keiner aus dem Nachbarhaus hat die Bombardierung überlebt. Vater war Soldat. Erst nach dem Krieg kam eine Vermisstenmeldung. Aber er kehrte nie zurück.« Nach der Schule bewarb sich Gerhard Lau auf der Werft. Der Werftdirektor sah sich alle an, die bei ihm Werftarbeiter werden wollten. »Mit di wat dat nix«, sagte er zum kleinen Gerhard, »du bist to lütt.« So wurde der Junge technischer Zeichner. Nach dem Wehrdienst studierte er an der Ingenieurhochschule Wismar. Als Diplomingenieur arbeitete er in Rostock für verschiedene große Projekte. Von 1980 bis 1990 war er am Institut für Kulturbauten in Berlin. Als er danach Denkmalpfleger in Rostock wurde, sorgte er dafür, dass die Tür des Leuchtturms 1994 endlich wieder geöffnet wurde.

Nach 20 Jahren ist Gerhard Lau nun nicht mehr Kapitän. Den Vorsitz des Leuchtturmvereins hat er einem Jüngeren übergeben. In der Festschrift hat er geschrieben, dass der Leuchtturm neben seinem technischen Licht auch ein Licht des Gemeinsinns ausstrahlt. Und wer nach Warnemünde reist, spürt sein Leuchten.

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