nd-aktuell.de / 07.08.2014 / Politik / Seite 3

»Und plötzlich sind sie tot«

Der Arzt Michael Kühnel bekämpfte für das Rote Kreuz in Sierra Leone das Ebola-Virus

Michael Kühnel ist Arzt und Auslandsdelegierter des Österreichischen Roten Kreuzes. Vor zwei Wochen kehrte er aus Sierra Leone zurück, wo er einen Monat lang im ländlichen Bezirk Kailahun gegen das Ebola-Virus kämpfte. Es war sein vierter Einsatz im Ausland, aber der erste in Afrika und gegen Ebola - vor dem er keine Angst, aber Respekt hat. Mit ihm sprach nd-Redakteurin Marlene Göring.

nd: Wie war es für Sie, in ein Ebola-Gebiet zu reisen?
Kühnel: Es war schon komisch. Angst hatte ich keine, denn man weiß ungefähr, worum es sich bei dem Virus handelt. Aber Respekt schon. Man kommt dorthin und weiß nur das, was die Medien berichten: dass es einen Ebola-Ausbruch gibt. Wir haben angefangen mit sogenannten Community Mobilisations: Zielgruppen zusammenfassen und ihnen erklären, was Ebola ist, wie man es bekommt, was die Anzeichen sind und was zu tun ist, wenn man es hat. Die religiösen Oberhäupter und vor allem die Frauen sind sehr wichtig, weil Frauen dort die Nachrichten überbringen - an die Familie, an die Ehemänner.

Vertrauen Ihnen die Menschen? Es muss doch merkwürdig sein: Da kommen einfach Leute von wer weiß woher und ...
... wissen alles besser. Ja, aber man muss sagen: Das Rote Kreuz hat den großen Vorteil, dass wir überall auf der Welt sind, also auch in Sierra Leone. Zum Beispiel ist dann der Vizebürgermeister in einem kleinen Ort gleichzeitig der lokale Rot-Kreuz-Leiter. Nicht Fremde haben also die Informationen weitergegeben, sondern die eigenen Leute. Deshalb hatten wir nie irgendwelche Securityleute dabei oder Sicherheitsbedenken.

Wie leben die Menschen mit der Bedrohung?
Es ist sehr viel Angst da, vor allem aus Unwissenheit. Ebola gab es dort vorher noch nicht. Plötzlich sterben Leute, plötzlich heißt es, da ist ein neues Virus. Eine der wichtigsten Aufgaben war, den Leuten die Angst zu nehmen, indem man sie aufklärt.

Das andere war fast noch wichtiger: den Leuten Hoffnung geben. Die erste Information, die man über Ebola dort bekommen hat, ist: Wenn man es hat, stirbt man. Das Virus hat eine hohe Mortalitätsrate, zwischen 50 und 90 Prozent. Aber was immer in den Hintergrund gedrängt wird: Es überleben auch zwischen 30 und 50 Prozent - je nachdem, wie schnell man ins Krankenhaus geht. Wenn Infizierte keine Hoffnung haben, bleiben sie zu Hause. Dann ist auch die Chance, andere anzustecken, viel größer.

Ebola hat den Ruf, ein besonders grausames Virus zu sein. Wie sind die Symptome?
Ebola konnte sich so schnell ausbreiten, weil es der Malaria sehr ähnlich ist. Gerade ist Regenzeit, also steigen die Malariafälle. Die Symptome sind bei beiden hohes Fieber, Hautausschlag, Erbrechen, blutiger Durchfall. Das Problem im Voranschreiten der Krankheit ist der Flüssigkeitsverlust durch Erbrechen und Durchfall. Elektrolyte gehen verloren, die Blutzusammensetzung ändert sich und es kommt vorwiegend zu inneren Blutungen. Es ist also nicht wie im Film »Outbreak«, dass die Patienten halb explodieren vor lauter Blutungen. Meistens sterben sie an Multiorganversagen und inneren Blutungen, die man nicht immer gleich sieht.

Wie reagiert die Familie in der Regel, wenn sich jemand infiziert hat?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Leute, die einfach Angst haben und sich verstecken. Die Familie hält zum Teil Abstand - bloß nicht berühren. Das ist auch das, was wir propagiert haben. Manche machen aber auch weiter, als ob nichts wäre. Solche Leute sollen die »Sucher« finden: Menschen, die mit Infizierten Kontakt hatten. Wenn jemand in der Familie erkrankt ist und ins Krankenhaus kommt, wird die gesamte restliche Familie jeden Tag besucht und auf Symptome überprüft. 21 Tage lang, danach sollte es keine Ansteckung mehr geben.

Wie sind die Erkrankten in Kailahun untergebracht, wo Sie waren?
Ärzte ohne Grenzen hat dort ein Feldspital errichtet. Im Prinzip war es eine Zeltstadt mit 25 Zelten, mit Zäunen so abgesperrt, dass man sich nicht aus Versehen in ein Gebiet mit infektiösen Patienten verirrt. Es ging nicht darum, mit Stacheldrahtzäunen Leute ein- oder auszusperren. Sondern einfach darum, die einzelnen Zonen mit Plastikzäunen abzugrenzen. Die Patienten bekommen Vollversorgung, also medizinisch und mit Nahrung - was nicht selbstverständlich ist in den Krankenhäusern dort, meistens muss die Familie dafür aufkommen. Familienmitglieder durften auch zu Besuch kommen. Allerdings nur im Vollkörperschutz.

Wie geht es den Menschen, die überleben?
Nach zwei Wochen ist Ebola normalerweise ausgestanden. Das einzige, was man gerade Männern mitgeben muss: Das Virus ist mindestens noch drei Monate in Spermien nachweisbar. So lange also nur geschützten Geschlechtsverkehr. Die schwierigere Aufgabe ist, die Leute danach wieder in den Dörfern zu integrieren. Selbst wenn man zehnmal erzählt, der ist wieder gesund und nicht mehr infektiös - zwischen Sehen, Hören und daran Glauben liegen leider Welten.

Sie waren während Ihres Einsatzes auch für das »Body Management« zuständig.
Ich sollte ein Team mit Menschen aufbauen, die freiwillig die Toten bestatten. Das war natürlich nicht einfach. Solche Helfer sind oft stigmatisiert im Dorf, in der Familie, bei Freunden. Die wollen sie nicht mehr berühren, weil sie Angst vor einer Ansteckung haben. Es ist auch schwierig, die Leichen so in die Leichensäcke zu bringen und zu bestatten, dass es ungefährlich ist - und auf der anderen Seite dennoch religiöse und ethnische Grundprinzipien eingehalten werden, damit es trotz allem noch halbwegs feierlich abläuft.

Was passiert mit den Toten?
Dafür hatten wir zwei Möglichkeiten. Neben dem Krankenhaus gab es einen engen Friedhof, wo jede Person ihr eigenes Grab hatte - auf wenigen Quadratmetern sehr viele Gräber. Darin wurde im Beisein der Familienmitglieder der oder die Verstorbene beerdigt. Dann wurde gebetet: 70 Prozent dort sind Muslime, ungefähr 30 Prozent Christen, und es wurde automatisch für beide Religionen ein Gebet gesprochen. Das fand ich sehr schön. Gab es eine Beerdigung im Dorf des Verstorbenen, wurde auch getanzt und gesungen. Allerdings durften die Toten entgegen den Gebräuchen nicht gewaschen und gekleidet werden, weil einfach das Risiko einer Infektion extrem hoch wäre.

Wie sind Sie mit dem Druck an Ort und Stelle umgegangen?
Auf jeden Fall ist es anstrengend, wobei wir diesmal auch einen Psychotherapeuten dabei hatten - für die Mitarbeiter und um ein Arztteam aufzubauen. Mir hat am meisten mein Blog geholfen: Ich habe für das österreichische Rote Kreuz und auch privat alle zwei, drei Tage etwas geschrieben und das Ganze ins Internet gestellt.

Wie geht das Leben in Sierra Leone weiter?
Es gibt NGOs, die meinen, alles sei außer Kontrolle. Aber von Anarchie sind wir dort weit entfernt. Normal ist das Leben aber auch nicht. Die Leute sterben. Unser Begräbnisteam musste einmal zwei elfjährige Kinder zum Friedhof bringen. 16 Leute waren dort verscharrt. Die Menschen standen stumm um die Gräber herum. Ein Kollege hat sie dann gefragt, was sie denken. Sie meinten: »Das ist alles nur unfair. Vor zwei Wochen waren sie noch bei uns. Und plötzlich sind sie tot.«