Fragwürdige Fußfesseln

Niedersachsens CDU will elektronische Überwachung für Sicherungsverwahrte

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Nur mit einer elektronischen Fußfessel sollen Sicherheitsverwahrte in Niedersachsen künftig Ausgang bekommen, fordert die CDU. Die rot-grüne Landesregierung lehnt das bislang ab.

Ein sicherheitsverwahrter Straftäter, der seinen Ausgang für einen schweren Kindesmissbrauch genutzt haben soll, hat Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) nicht nur viel Ärger, sondern auch eine Menge Arbeit eingebracht. Durch einen 138 Punkte umfassenden Fragenkatalog, aufgestellt von der CDU-Opposition zu dem aktuellen Fall, mussten sich die Ressortchefin und ihr Team kämpfen. Die Antworten liegen nun vor, darunter auch eine Absage an die elektronische Fußfessel, die die Union für Sicherheitsverwahrte auf Freigang fordert.

Ein solches Gerät ermöglicht es, per Funk das Verlassen eines sogenannten Kontrollbereichs festzustellen. Es kann für Straftäter als »Mittel der Führungsaufsicht« angeordnet werden, zum Beispiel nach Verbüßung einer Haftzeit. Für Freigänge während einer Sicherungsverwahrung jedoch müsste der Einsatz einer Fußfessel durch das Vollzugsgesetz des jeweiligen Bundeslandes gestattet werden. In Niedersachsen ist dies bisher nicht der Fall.

Rückblende: Ende Mai verlässt der 51-jährige Reinhard R. die Justizvollzugsanstalt Lingen im Emsland. Noch bis 2017 ist er dort zur Sicherungsverwahrung untergebracht. Fünf Tage lang hat er unbegleiteten Ausgang »zu therapeutischen Zwecken«, wie es im Amtsdeutsch heißt. Insgesamt 17 Taten füllen sein Vorstrafenregister. Von der gefährlichen Körperverletzung bis zum Totschlag. Auch mehrere Sexualdelikte an Kindern verzeichnen die Akten. Rund 200 Mal war der Mann schon ohne Begleitung »draußen«, stets ist er pünktlich zurückgekehrt, auch gab es keine Hinweise darauf, dass er eine Straftat begehen oder fliehen könnte. Doch am 1. Juni warten die Beamten der JVA vergeblich auf Reinhard R., er kommt nicht zurück. Stattdessen erscheint ein 13-jähriges Mädchen bei der Polizei und zeigt an, Reinhard R. habe sie missbraucht. Nach einer aufwendigen Fahndung über Deutschland hinaus wird der Beschuldigte sechs Tage später nahe der niederländischen Grenze festgenommen. Er sitzt nun in Untersuchungshaft, bestreitet die Vergewaltigung des Kindes.

So tragisch das mutmaßliche Geschehen ist - die CDU im Landtag nutzt es, die Justizministerin gründlich in die Mangel zu nehmen. Wieder mal. Parallel zu den bekannten Vorwürfen, sie habe versagt im Zusammenhang mit Ermittlungen zum Kinderpornovorwurf gegen den Ex-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy und zu dem Richter, der Justiz-Prüfungsfragen verkauft haben soll. Unter anderem stichelt die Union, warum denn Reinhard R. bei seinen Ausgängen keine elektronische Fußfessel angeschnallt hatte. Eine müßige und offensichtlich provokative Frage, dürften doch zumindest die Rechtsexperten der CDU-Fraktion wissen, dass vor solch einer Maßnahme das Landesgesetz zur Sicherungsverwahrung geändert werden müsste.

Die Landesregierung, so Antje Niewisch-Lennartz, stehe Fußfesseln für Sicherungsverwahrte skeptisch gegenüber. Ausgang dürfe ihnen ohnehin nicht gewährt werden, wenn zu befürchten sei, dass sie die Zeit in Freiheit »zur Begehung erheblicher Straftaten« oder zur Flucht missbrauchen könnten. Es sei nur schwer zu ermessen, wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung einer solchen Gefahr entgegenwirkt. Hessen zum Beispiel habe die Fesseln für Sicherungsverwahrte ermöglicht, Erfahrungsberichte lägen aber noch nicht vor, erklärte die Justizministerin. Deshalb sei eine entsprechende Ergänzung des niedersächsischen Vollzugsgesetzes bislang nicht zu rechtfertigen.

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