Responsibility to Protect? Herumeiern ist keine Strategie

Kein Mensch in Irak braucht deutsche Waffen, Zehntausende aber sind auf politische wie humanitäre Hilfe aus Europa angewiesen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Responsibility to Protect lautet ein hochtrabendes Versprechen, das westeuropäische und deutsche Politiker stets aufs Panier heben. Verantwortung für den Schutz Verfolgter? Welch ungenierte Lüge.

Im Sindschar-Gebirge sterben Menschen, die vor den IS-Fanatikern geflohen sind und in Deutschland haben Politiker von rechts und links nichts Besseres zu tun, als über Waffenlieferungen an »die« Kurden zu palavern. Er sei sei ja strikt gegen deutsche Waffenexporte, sagt Gregor Gysi. »Da aber Deutschland ein wichtiges Waffenexportland ist, könnte in diesem Ausnahmefall ein Waffenexport dorthin dann statthaft sein, wenn andere Länder dazu nicht unverzüglich in der Lage sind«, meinte der Linksfraktionschef und trifft sich da mit Unions- und Grünen-Politikern. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht - wie Gysi - die irakische Armee als Adressat. Wo immer die sich versteckt. Doch: Von der Leyen will schnell ein »stimmiges Gesamtpaket Europas« und vorerst keine Waffen liefern, sondern Helme, Schutzwesten, Verbandsmaterial.

Festzuhalten ist: Niemand redet über Export. Niemand braucht deutsche Waffen. Andere Staaten sind nicht nur unverzüglich in der Lage, Kriegsmaterial zu liefern. Sie tun es bereits seit über einer Woche. Die USA haben ihre regionalen Ad-hoc-Lager geöffnet. Man gibt den ohnehin gut ausgerüsteten und kampferprobten Peschmerga-Kämpfern vor allem Munition und Gerät, also Dinge, die sich verbrauchen. Washington hat offenbar die mittel- und längerfristigen Wirkungen einer weiteren Aufrüstung in der Region im Auge.

Zudem sind US-Militärberater vor Ort. So weiß man genau, was notwendig ist und auch, dass die US-Luftschläge nur begrenzt wirken. Die »kurdische Luftwaffe« hat nur einen US-Flugzeugträger zur Verfügung und dessen Jets fliegen Umwege, also nicht durch syrischen Luftraum. Vor Ort sind auch britische SAS-Spezialisten und Iran liefert fleißig.

Natürlich sollte man die UNO in die Pflicht nehmen. Doch die Weltorganisation könnte Hilfe nicht nur mit den Kurden vereinbaren. Das würde der Fragmentierung Iraks weiter Vorschub leisten und riefe den NATO-Staat Türkei auf den Plan, der jeden Kurden als Terroristen behandelt wissen will. Die UNO braucht eine irakische Regierung als Partner. Diese Zentralgewalt gibt es nicht. Irak als Staat zerfällt rasant schnell.

Also nichts tun? Die NATO holen? Keinesfalls. Wenn man schon Militär als unverzichtbar betrachtet, warum greift man nicht auf EU-Battlegroups zurück? Diese Krisenreaktionseinheiten könnten im UN-Auftrag eingesetzt werden. Und zwar unterhalb der Schwelle eines militärischen Kampfes. Denn auch dazu sind sie da. Das hat der derzeitige Kommandeur, der belgische General Hubert de Vos, unlängst bei einer Übung in Grafenwöhr ausdrücklich bestätigt.

Die aktuelle EU-Battlegroup besteht aus deutschen, belgischen, niederländischen, luxemburgischen und spanischen Soldaten. Die Bundeswehr stellt Hubschrauber, Sanitätseinheiten und Feldjäger. Das ist die ideale Besetzung für Operationen dies- und jenseits der irakischen Nordgrenze. Mit Hubschraubern ließen sich die jesidischen und andere Flüchtlinge in den unwegsamen Gebieten weitaus besser versorgen als mit Abwürfen aus großen Höhen. Man könnte Kranke, Kinder, Alte ausfliegen. In deutsche Lazarette. Schwere Fälle ließen sich mit hochgelobten Medevac-Flugzeugen der Bundeswehr in deutsche Krankenhäuser fliegen. Freilich bräuchte man einen Stützpunkt für die Operation. Die riesige türkische Luftwaffenbasis Incirlik wäre ideal. Man könnte Ankaras »Solidarität« mit den in der Türkei stationierten Patriot-Raketen der USA, der Niederlande und Deutschlands erhandeln.

Statt weiter über Waffenexport und Schutzpflicht zu reden, muss sich die EU um tragfähige Konzepte für humanitäre Hilfe bemühen. Denn das, was in Irak passiert, läuft ähnlich in Afghanistan, Pakistan, in Somalia, Mali, Nigeria, im sudanesischen Krisenraum, in Libyen, Syrien, in Gaza und womöglich bald in der Ukraine ab.

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