nd-aktuell.de / 27.08.2014 / Kultur / Seite 12

Vertanzte Lebenswirklichkeit

Im Haus der Berliner Festspiele findet das 1. Tanztreffen der Jugend statt

Karin Schmidt-Feister

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, findet vom 27. August bis zum 1. September im Haus der Berliner Festspiele das 1. Tanztreffen der Jugend statt. Das war längst überfällig, treffen sich doch junge Theaterleute, Musiker und Autoren schon seit Jahrzehnten auf Bundesebene zu Leistungsschau und Austausch.

»Tanz erfordert Bewegungsvielfalt und Körperbeherrschung und weckt zugleich Selbstbewusstsein und Kreativität. Tanz ist nicht nur eine sportliche Aktivität, sondern als Kunstform auch ein Teil der kulturellen Bildung«, so Bundesministerin Johanna Wanka in ihrem Grußwort. Aus 60 Bewerbungen hat eine Jury deutschlandweit sieben Produktionen für Jugendliche und mit Jugendlichen aus Bochum, Köln, Münster Oldenburg, Saarbrücken, Stralsund und Berlin für dieses erste junge Forum zeitgenössischen Tanzes ausgewählt. Die ganze Bandbreite heutiger Jugend-Tanzstile wird bei fließenden Grenzen zum Schauspiel vorgestellt werden.

Die Aufführungen zeigen die (vertanzte) Lebenswirklichkeit der Welt, in der die Akteure leben. Eingeladen sind große Jugend-Tanzgruppen von Theatern (so die Jugendtanzgruppe des Saarländischen Staatstheaters iMove, die mit einem bunten Mix aus Urban Dance und Klassik die Eröffnungsvorstellung »Cage« vorstellt) bzw. Tanzhäusern, aber auch kleine Arbeiten von freien Choreografen mit jugendlichen Akteuren im Alter zwischen zwölf und 24 Jahren.

Jurysprecherin Martina Kessel betont: »Bereits in dieser ersten Ausgabe zeigt sich die Vielfalt des Tanzes und werden die unterschiedlichsten Formen deutlich, Tanz mit jungen Menschen zu inszenieren. Von Parkouring und Tricking über HipHop bis hin zu Bewegungsmaterial, das ausschließlich über Improvisation entstanden ist, sind (fast) alle zeitgenössischen Bewegungsformen vertreten. Die Bandbreite an Themen ist nicht nur groß, sondern riesig. Und es sind Themen, die die Welt und alle Menschen angehen«.

Die jungen Leute haben mit unterschiedlichsten Choreografen zusammengearbeitet und waren alle mit ihren Erfahrungen und Ideen an der Stückentwicklung beteiligt. So hat die Berliner TanzZeit-Jugendcompany Evoke das Stück »Kellerkinder« (Aufführungen am 28. und 30. 8.) zusammen mit ihrem Choreografen Kadir »Amigo« Memis als Teil einer Trilogie erarbeitet. Memis - 1974 in der Türkei geboren, 1994 und 2000 HipHop-Weltmeister mit den »Flying Steps« - hat viele Erfahrungen mit Kinder- und Jugendtanzprojekten. Worum es ihm, den fünf Tänzern und einem Rapper geht, beschreibt er so: »Die Schmuddelkinder von heute kommen zur Sprache. Es ist ein Stück über die Verrohung im medialen Zeitalter, über die Härte und Gewalt in der Sprache und in der Bewegungssprache von Jugendlichen.«

Jugendliche, so Memis, benutzen eine besondere Sprache. Viel nähmen sie von den Rappern auf. »Doch die Kids werfen mit schwierigen Sätzen der medialen Vergewaltigung um sich; das Wort als Waffe erkennen sie nicht. Kids gehen spielerisch mit dem Battle-Rap um, um einen Gegner kreativ ›auszuziehen‹.« Jedes Jahr, so der Choreograf weiter, würden sich neue Stufen der Beleidigung entwickeln. Die Situation heute in Deutschland sei bei Lehrern wie Eltern durch ein Nicht-Verstehen dieser Sprache der Jugendlichen gekennzeichnet.

Kadir »Amigo« Memis: »Ich entdeckte auch durch meine Workshop-Arbeit, dass die Kids schon mit einer Rolle in die Schule kommen. Sie sind nicht sie selbst. Kids haben heute oft wenig Bezug zur Familie.« Am Anfang sei jeder Erwachsene ein Fremder. Glaubwürdigkeit will hart errungen sein: »Ich hatte wirklich schwierige Zeiten. Ich habe meinen Werdegang erzählt. Auf youtube konnten sie street dance der ›Flying Steps‹ in Aktion sehen. So gewannen die Kids die Gewissheit, dass ich es ehrlich meine und wirklich mit ihnen zusammen arbeiten möchte.«

Dass Jugendliche solche Projekte brauchen, davon ist Memis überzeugt. »Sie schreien, um gehört zu werden.« Ein junger Mensch habe von allen Seiten im Alltag in der Großstadt mit Informationsbomben zu kämpfen. »Ihre Internet-Gewalterfahrung war schockierend für mich. Es ist schwer, sortiert Informationen zu kriegen.« Das Stück »Kellerkinder« erzählt viel über die verrohte einsame Sprache. Es ist in einer intensiven Woche mit Protagonisten von Evoke erarbeitet worden. Die Jugendlichen wählten den Choreografen erstmals selbst aus. In solchen Projekten mit bewusster medialer Distanz ohne Übersetzer, sagt Memis, »treten alle direkt in Beziehung. Die Jugendlichen haben hier eine Reflexionsfläche, um ihre Themen und Gesten verständlich zu machen«.

Ein umfangreiches Campus-Programm mit Workshops und täglichen Aufführungsgesprächen richtet sich an alle Teilnehmer. Auftreten, Schauen, Lernen - so die Devise für das erste Bundestreffen junger Tänzerinnen und Tänzer. Ihre Erwartungen an Berlin sind groß, und die Tanzhauptstadt freut sich auf junges Tanz-Theater, das unter die Haut und ins Herz geht.

Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, Tickets ab 8, erm. 5 Euro. www.berlinerfestspiele.de[1]

Links:

  1. http://www.berlinerfestspiele.de