nd-aktuell.de / 29.08.2014 / Brandenburg / Seite 11

Die Basis, das unbekannte Wesen

Bei Mitgliederentscheiden der SPD hatte es in den vergangenen Jahren einige Überraschungen gegeben

Aert van Riel
Die Basis der Berliner SPD soll abstimmen, wer Nachfolger des scheidenden Bürgermeisters Klaus Wowereit wird. Nicht nur bei Personalfragen wird dieses Instrument in der Partei immer beliebter.

In Zeiten, in denen die Parteien Mitglieder verlieren, gilt eine stärkere Beteiligung der eigenen Basis als Mittel, um neue Unterstützer zu gewinnen und alte bei der Stange zu halten. Vor allem deswegen werden in der SPD seit den 90er Jahren zunehmend Mitgliederentscheide oder Basisbefragungen durchgeführt. Dabei geht es, wie nun in Berlin, wo sowohl Landeschef Jan Stöß als auch der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh neuer Regierungschef werden wollen, zumeist um strittige Personalfragen, die ansonsten allein von einem Parteitag entschieden werden müssten. Während bei diesen Treffen oft Bündnisse mit den Vertretern der jeweiligen Verbände und Gruppen geschmiedet werden können, sind Befragungen aller Parteimitglieder weniger berechenbar. Ein Beispiel hierfür ist die Abstimmung von 1993. Damals sollten die SPD-Mitglieder ihren künftigen Bundeschef empfehlen. Rudolf Scharping setzte sich deutlich klar gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durch. Allerdings konnte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen. Schröder ärgerte sich, dass er keine Stichwahl verlangt hatte. Seitdem werden Parteivorsitzende der Sozialdemokraten nur noch von Parteitagsdelegierten gewählt.


In jüngster Vergangenheit duften die Mitglieder zuweilen zwischen mehreren Kandidaten für die Spitzenkandidatur bei Landtagswahlen entscheiden. 2011 gewann in Schleswig-Holstein der damalige Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig gegen Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner. Auch das galt als Überraschung. Im selben Jahr unterlag der niedersächsische Landesvorsitzende Olaf Lies dem Oberbürgermeister von Hannover, Stephan Weil. Später gewannen Albig und Weil mit ihren Parteien die Landtagswahlen und sind heute Ministerpräsidenten. Einen ähnlichen Fall wie nun in Berlin hat es in der SPD ebenfalls schon gegeben. Im Jahr 2005 erhielt der damalige Bremer Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen bei einer Mitgliederbefragung die meisten Stimmen und folgte auf den zurückgetretenen Regierungschef Henning Scherf.


Eine Niederlage bei einem Mitgliedervotum muss in der SPD nicht das Ende der politischen Karriere bedeuten. Nachdem sein parteiinterner Konkurrent Scharping bei der Bundestagswahl 1994 gegen Amtsinhaber Helmut Kohl (CDU) verloren hatte, ließ sich Schröder zum Kanzlerkandidaten küren. Stegner gilt weiter als wichtiger Vertreter der Parteilinken und ist inzwischen immerhin einer von mehreren stellvertretenden SPD-Vorsitzenden.
Anders als über die Personalfragen dürfen die Genossen an der Basis bisher nur selten über Sachfragen abstimmen. Das liegt auch daran, dass es hierfür hohe Hürden gibt. Im Jahr 2012 starteten einige Jusos ein Mitgliederbegehren gegen einen Parteitagsbeschluss pro Vorratsdatenspeicherung. Doch die Initiatoren verfehlten das Quorum von zehn Prozent der SPD-Mitglieder. Wäre dieses Quorum erreicht worden, hätte es einen Basisentscheid gegeben. Später kritisierten die Initiatoren, dass die Unterstützer auf Papier unterschreiben mussten und dies nicht online tun konnten. Zudem sei das Quorum angesichts der vielen passiven Parteimitglieder zu hoch.


Im Herbst 2013 konnten die Genossen entscheiden, ob die SPD als Juniorpartner eine Koalition mit der Union eingeht. Allerdings wäre die Parteiführung bei einer Abstimmungsniederlage wohl zurückgetreten. Zudem warnten führende Genossen bei internen Treffen immer wieder davor, dass die SPD bei Neuwahlen noch schlechter abschneiden würde als zuvor. So wurden viele Parteimitglieder unter Druck gesetzt, anstatt faire Debatten zuzulassen. Von einem »Fest der innerparteilichen Demokratie«, wie es der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel formulierte, konnte jedenfalls keine Rede sein.


Etwas freier könnte bald die Entscheidung der Thüringer Sozialdemokraten sein. In Erfurt soll nach der Landtagswahl am 14. September beschlossen werden, worüber die Mitglieder abstimmen sollen. Entweder über den Partner bei den Koalitionsverhandlungen oder später über den ausgehandelten Koalitionsvertrag.