Schmutzige Abwasserkampagne

Der Streit um die Altanschließer beherrscht den Bürgermeisterwahlkampf in Bernau

Wie geht er mit den umstrittenen Beiträgen der Altanschließer um? Diese Frage muss jeder der drei Kandidaten beantworten, der am 14. September neuer Bürgermeister von Bernau werden will.

Bernau hat eine Bürgermeisterstraße, die seitlich am Rathaus vorbeiführt, aber derzeit keinen Bürgermeister. Denn Rathauschef Hubert Handke (CDU) wurde am 30. März durch einen Bürgerentscheid abgewählt, nachdem er beinahe 22 Jahre lang die Geschicke der Stadt gelenkt hatte. Die Empörung über saftige Beiträge, die der Wasser- und Abwasserverband (WAV) Panke-Finow von Altanschließern fordert, wurde Hubert Handke zum Verhängnis.

Das Votum in Bernau sorgte für Aufsehen, weil es Signalwirkung haben könnte. Denn Ärger haben Altanschließer auch in vielen anderen Städten und Gemeinden Brandenburgs. Deshalb dürfte jetzt wieder aufmerksam nach Bernau geschaut werden. Am 14. September, zeitgleich mit der Landtagswahl, sollen die Einwohner auch darüber abstimmen, wer neuer Bürgermeister wird. Drei Kandidaten stellen sich zur Wahl, und sie stehen für drei verschiedene Wege, wie mit den Beitragsforderungen verfahren werden könnte. Die Plakate mit ihrem Konterfei hängen überall in der Stadt, auch in der Bürgermeisterstraße.

Da ist Hubert Handkes frühere Stellvertreterin Michaela Weigand, die gegenwärtig die Amtsgeschäfte leitet und gemeinsam von SPD, CDU, Freier Fraktion und Piraten ins Rennen geschickt wird. Da ist Kämmerer Ralf-Peter Hennig, unterstützt vom Bündnis für Bernau und von der Unabhängigen Fraktion, die gegen die Altanschließerbeiträge rebellieren und deswegen für die Abwahl des Bürgermeisters gesorgt haben.

Da ist außerdem Bürgermeister André Stahl (LINKE). Ja, tatsächlich. Der 43-Jährige ist bereits Bürgermeister, allerdings ehrenamtlicher Bürgermeister der nördlich von Bernau gelegenen Kleinstadt Biesenthal. Nun kandidiert André Stahl für den Posten des hauptamtlichen Bürgermeisters von Bernau. Seine Genossen haben ihn darum gebeten und er hat nach einem Monat Bedenkzeit eingewilligt.

Warum? Biesenthal mit seinen 5600 Einwohnern sei sehr überschaubar und werde von den wenigen Stadtverordneten in aller Regel einvernehmlich regiert. Das knapp 37 000 Einwohner zählende Bernau mit seinen angesichts des Altanschließerstreits »komplizierten politischen Verhältnissen« begreift Rechtsanwalt Stahl als »neue Herausforderung«. Wenn es nichts wird mit seiner Wahl zum Bernauer Bürgermeister, dann möchte er Bürgermeister von Biesenthal bleiben. Für vier Jahre ist er dort erst einmal noch gewählt, seit 2002 im Amt.

Ob es etwas werden kann, das lässt sich von außen nicht beurteilen. Der Ausgang der Wahl scheint völlig offen zu sein. Selbst einer, der sich mit den hiesigen Verhältnissen und insbesondere mit den kommunalpolitischen Kräfteverhältnissen gut auskennt, der Stadtverordnete Christian Rehmer (LINKE), möchte keine Prognose wagen. Aber er betont: »Wir haben das Potenzial, zu gewinnen.« 35 bis 40 Prozent der Stimmen könne die LINKE in Bernau allemal einfahren. Der Ort gilt als Hochburg der Partei, nicht zuletzt aufgrund des Wirkens der langjährigen Bundestagsabgeordneten und Stadtfraktionsvorsitzenden Dagmar Enkelmann.

Trotzdem konnte die LINKE die vorangegangenen Bürgermeisterwahlen mit ihren Kandidaten Kerstin Liebich und Lutz Kupitz nicht gewinnen. Das erklärt Rehmer damit, dass Handke in der Stadt lange Zeit sehr beliebt war und breite Unterstützung genoss, bis in die linke Wählerschaft hinein, ja sogar unter Parteimitgliedern. Erst zuletzt sei die Stimmung gekippt.

Dagmar Enkelmann hätte Handke 2010 eventuell Paroli bieten können und sie spielte damals auch lange Zeit mit dem Gedanken, gegen ihn anzutreten, verzichtete dann aber darauf. Jetzt wäre sie bereit gewesen. »Ich habe nicht gekniffen«, weist sie Vermutungen zurück, »sondern die Partei hat entschieden, lieber jemanden aufzustellen, der eine politische Zukunft hat und Erfahrungen als Bürgermeister vorweisen kann.« Die 58-jährige Enkelmann hätte eine achtjährige Amtsperiode noch absolvieren können, für eine zweite hätte sie dann wegen der gesetzlichen Altersgrenze von 67 Jahren für hauptamtliche Bürgermeister in Brandenburg nicht mehr zur Verfügung gestanden.

Dass André Stahl im Gegensatz zu Enkelmann nicht in Bernau lebt, ist indessen gegenüber seinen Mitbewerbern Michaela Weigand und Ralf-Peter Hennig kein Nachteil, denn die wohnen in Panketal beziehungsweise in Berlin. Hennig wäre eigentlich auch beruflich längst fern von Bernau. Er nahm eine Stelle als Finanzdezernent bei Hohen Neuendorfs Bürgermeister Klaus-Dieter Hartung (LINKE) an, die er am 1. August antreten sollte. Wegen der Bürgermeisterwahl erbat er sich noch einen Aufschub bis 1. Oktober. Spätestens bis dahin weiß er, ob er die Wahl gewonnen hat und deswegen auf den Job in Hohen Neuendorf verzichten kann. Die möglicherweise notwendige Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten aus der ersten Wahlrunde am 14. September würde am 28. September stattfinden.

Hennig verspricht einen »Neuanfang für Bernau« und für den WAV das von vielen Altanschließern favorisierte Gebührenmodell. Das heißt, es werden gar keine Anschlussbeiträge mehr erhoben - weder zukünftig für Neuanschließer, noch nachträglich für Altanschließer. Dafür werden höhere Gebühren für den Wasserverbrauch und das entstehende Abwasser verlangt.

Michaela Waigand (Motto: »Eine starke Frau. Für Bernau«) setzt dagegen nach eigenem Bekunden auf eine rechtssichere und sozialverträgliche Lösung. Sie sei ein Garant für die »Fortsetzung des Systems Hubert Handke«, moniert der Stadtverordnete Rehmer. 6000 Bescheide hat der WAV bislang verschickt, weitere 8000 Bescheide stehen noch aus.

Rechtsanwalt Stahl (»Meine Wahl: André Stahl«) schlägt einen Kompromiss vor. 5000 Euro müsste ein Altanschließer nach gegenwärtigem Stand für ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück berappen, rechnet er vor. Nach seinem Vorschlag sollten es 500 Euro sein. Ist eine solche Vorgehensweise rechtlich sauber? Der Jurist beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgericht, wonach die Ansprüche nicht irgendwann auf einen Schlag verjähren, sondern sich »verflüchtigen«. Damit wäre es aus seiner Sicht machbar, kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31. Dezember 2015 nur zehn Prozent zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht hätte letztendlich zu entscheiden. »Der Fall würde ganz sicher dort landen, weil irgendwer garantiert auch gegen die Zahlung der zehn Prozent klagen würde«, erwartet Stahl. Dann hätte man Klarheit.

Wie kommt die Idee bei den Bürgern an? »Das Bündnis für Bernau unterstellt mir ein Täuschungsmanöver, ansonsten würde die Masse der Leute mit meinem Modell gut leben können. Aber jetzt sind sie verunsichert«, berichtet Stahl. »Dieses Thema bestimmt den Wahlkampf und vergiftet das Klima in der Stadt.« Da werde auch unfair und unsachlich argumentiert, bedauert er.

Das Gebührenmodell sei in Bernau leider undurchführbar. Wer etwas anderes behaupte, betreibe »Rosstäuscherei«. Denn der WAV müsste bei einer Umstellung aufs Gebührendmodell 29 Millionen Euro in der Vergangenheit schon kassierte Anschlussbeiträge zurückzahlen. Diese Summe habe der WAV nicht. Er müsste einen Kredit in dieser Höhe aufnehmen, was die Kommunalaufsicht aber nicht genehmigen würde, wie sie schriftlich signalisiert habe. Stahl möchte in der Angelegenheit eine Befriedung herbeiführen, für einen sozialen Ausgleich sorgen, Gräben zuschütten. Das ist ihm wichtig.

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