»Wir lassen ihn nicht einfach sterben«

Krankenhaus lehnt lebensrettende Organtransplantation eines Kleinkindes wegen dessen Hirnschadens ab

  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Monaten wartet ein schwer krankes Kind in Gießen auf eine lebensrettende Operation. Doch die Ärzte lehnen den Eingriff wegen eines Hirnschadens ab. Nun erwägen die Eltern rechtliche Schritte.

Gießen. Yavuz und Sennur Dönmez kämpfen um das Leben ihres Sohnes, und notfalls tun sie das auch vor Gericht. Wegen eines Herzfehlers braucht der 22 Monate alte Muhammet Eren dringend eine Organtransplantation. Behandelt wird er derzeit im Kinderherzzentrum in Gießen. Wegen eines Hirnschadens wollen die Ärzte den Jungen aber nicht auf die Warteliste setzen. Da bisher auch kein anderes Transplantationszentrum zur Aufnahme bereit ist, denken die Eltern nun über rechtliche Schritte nach.

Im deutschen Grundgesetz heiße es, alle Menschen seien gleich, sagt der Vater des Jungen, Yavuz Dönmez. »Ich werde alles versuchen und auch alle rechtlichen Wege gehen.« Für ihn sei das Wichtigste, dass sein Sohn lebe.

Muhammet Eren war Ende März aus Istanbul nach Gießen gebracht worden, die Spezialisten des Kinderherzzentrums hatten die Transplantation zugesagt. 400 000 Euro Spenden haben die Eltern dazu eingeworben. Doch kurz vor der Abreise nach Deutschland streikte das Herz des Kleinkindes, und es musste in Gießen an die Apparate angeschlossen werden, die es bis heute am Leben halten. Die schockierende Diagnose kam einige Wochen später: irreversibler Hirnschaden, Transplantation ausgeschlossen.

Dagegen kämpfen die Eltern. Ihr Kind mache Fortschritte und atme wieder selbstständig, obwohl die Ärzte dies für unmöglich erklärt hätten. »Er hat bewiesen, dass er leben möchte, und wir lassen ihn nicht einfach sterben«, sagt Yavuz Dönmez. Die Hoffnung auf ein anderes Transplantationszentrum haben die Eltern noch nicht aufgegeben, trotz Absagen aus ganz Deutschland. Sie suchen weiter, in Europa und darüber hinaus.

Das Klima zwischen den Eltern und dem Uniklinikum Gießen und Marburg, zu dem das Herzzentrum gehört, verschlechtert sich zusehends. Die Klinikverwaltung engagierte nach Drohanrufen von Unterstützern der Familie einen Sicherheitsdienst und legte eine Rückverlegung des Kindes nach Istanbul nahe.

Die Eltern sehen ihren Sohn derzeit in Gießen am besten versorgt. Dem Uniklinikum machen sie aber schwere Vorwürfe. Die Ärzte hätten seinen Sohn früher nach Deutschland holen müssen, sagt Yavuz Dönmez. Auch, dass Wochen vergingen, bevor der Hirnschaden diagnostiziert wurde, kritisiert der 35-Jährige: »Warum haben sie das nicht gleich gesagt? Dann hätten wir noch das Geld gehabt und wären in ein anderes Krankenhaus gegangen.« Mehr als 540 000 Euro habe die Rechnung mit Stand Ende Juli betragen. »Vielleicht wollten sie am Anfang helfen, aber im Nachhinein zeigt sich, das sich alles nur ums Geld gedreht hat.«

Das Uniklinikum weist die Vorwürfe zurück. Die Behandlung werde so abgerechnet, als würde ein gesetzlich versicherter Patient behandelt. Dass die Aufnahme auf die Warteliste abgesagt worden sei, liege daran, dass der Hirnschaden den langfristigen Erfolg der Transplantation infrage stelle. Zudem bestehe der Verdacht einer angeborenen Herzmuskelschwäche. In einem solchen Fall untersagten das Transplantationsgesetz und die entsprechenden Richtlinien die Aufnahme auf die Warteliste, argumentieren die Mediziner.

Doch auch Politiker wollen sich mit dem bloßen Verweis auf die Richtlinien nicht zufriedengeben. »Ein Spenderorgan zu bekommen darf keine Frage des Geldbeutels oder einer Behinderung sein«, sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler der »Süddeutschen Zeitung«. Ebenso forderte die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink vor dem Hintergrund des Gießener Falls, die Vorschriften zu überarbeiten.

Die Deutsche Transplantationsgesellschaft erklärt dazu, dass schon derzeit eine Behinderung oder Beeinträchtigung eines Menschen kein Hinderungsgrund für die Aufnahme auf die Warteliste sein dürften. Allerdings müssten sie bei der medizinischen Abwägung der Risiken und Erfolgsaussichten der Operation berücksichtigt werden - was dann auch zu einer Ablehnung führen könne.

Details zu dem Rechtsweg, den die Eltern von Muhammet Eren einschlagen wollen, wurden bisher noch nicht bekanntgegeben. Er wolle das für das Kind so wichtige Verfahren nicht gefährden, sagt der Gießener Anwalt der Familie, Kai Wiegand. dpa

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