nd-aktuell.de / 04.09.2014 / Kultur / Seite 17

Leichtfüßig, so lange es ihr möglich war

Wiederentdeckt: Geschichten und Gedichte von Lili Grün aus dem »Mädchenhimmel«

Werner Jung

Der Tiel dieses Buches ist hübsch - und er lässt erschaudern, wenn man weiß, wie der Himmel über der Autorin zusammenbrach. Lili Grün, österreichischen Autorin jüdischer Herkunft, hat ein schmales Oevre hinterlassen, das die kundige Herausgeberin Anke Heimberg im Aviva Verlag in drei Bänden vorgelegt hat. Nach den Romanen »Alles ist Jazz« (Erstausgabe 1933) und »Zum Theater!« (Erstausgabe 1935) ist nun eine kleine Auswahl verstreut publizierter Texte, von Gedichten und Erzählungen erschienen. Es sind Texte einer jungen Autorin, von deren Lebensweg nur noch Spuren vorhanden sind, die Anke Heimberg in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat. Am 3. Februar 1904 in Wien geboren, verliert Lili Grün früh beide Eltern, schließt eine kaufmännische Lehre zur Kontoristin ab, um dann ihr Glück auf der Bühne, zunächst in Wien, dann in Berlin, zu suchen. Ihre Gelegenheitsgedichte, Erzählungen und zwei Romane sorgen rasch für Aufmerksamkeit. Weitere Stationen sind Paris und Meran, wo sie wegen Tuberkulose zu längerem Aufenthalt gezwungen ist. 1938 gerät sie »in die Mühlen des NS-Verfolgungsapparats«, wird am 27. Mai 1942 im sogenannten »Transport Nr. 23« von Wien ins weißrussische Maly Trostinec deportiert und noch am selben Tag ermordet.

Grüns Texte, die mit scheinbar leichter Hand geschrieben sind und ewige Menschheitsprobleme behandeln, sind zugleich subtile Reflexe auf den neusachlichen Zeitgeist, ähnlich denen anderer berühmter Autoren der Weimarer Republik, von Tucholsky bis Kästner, von Vicki Baum bis Gina Kaus: etwa das Schicksal der berufstätigen jungen Frau, einer Verkäuferin oder Stenotypistin, das rasant gestiegene Tempo des Lebens in der Großstadt, aber auch Armut und Verelendung und immer wieder, ironisch gebrochen, humoristisch zugespitzt und genüsslich seziert, der Kampf an der Liebes- und Beziehungsfront. Da beklagt sich etwa eine junge Frau: »Es gibt keine Liebhaber. Die Männer sind gleich so schrecklich verheiratet. Wenn man glaubt, dass alles ganz geheimnisvoll und neu ist, ist bei so einem Mann gleich am nächsten Morgen: ›Alle Tage‹! Oder wenn man mitten im schönsten Streiten ist und sich gerade furchtbar aufregen will, nimmt er die Zeitung und sagt: ›Gut, du hast recht, aber ich bitte dich, gib’ jetzt Ruh’, hör’ schon endlich auf!‹« - Ein einziger Lesegenuss.

Lili Grün: Mädchenhimmel! Gedichte und Geschichten. Gesammelt, herausgegeben, kommentiert von Anke Heimberg. Aviva Verlag. 192 S., geb., 18 €.