Segen des Schweigens

Die Vergeblichkeit, den Partner »erziehen« zu wollen

  • Wolfgang Schmidbauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer lebt und arbeitet als Psychotherapeut in München.
Dr. Wolfgang Schmidbauer lebt und arbeitet als Psychotherapeut in München.

Nachdem ich ein halbes Arbeitsleben damit verbracht habe, mit Hilfe der Sprache Menschen in der Bewältigung ihrer Geschichte und ihrer Beziehungen zu unterstützen, möchte ich auch einmal über den Segen des Schweigens schreiben.

Worte setzen sich in unserem Inneren fest, wir können sie wiederholen, sie werden buchstäblich zu Zaubersprüchen. Guter Zauber lindert Leiden und schafft Schönes; böser Zauber aber schafft Leiden und hindert den Genuss des Guten. Daher steht das Sprichwort »Sticks and stones will break my bones but words will never hurt me« eher für Trotz als für Trost.

Bösen Worten können wir leider nicht zuverlässiger ausweichen als den Knüppeln und Steinen, die nach uns geworfen werden. Womöglich heilen gebrochene Knochen sogar schneller als von einer entwertenden Rede verletzte Seelen. Von besonders kränkbaren Menschen wissen wir, dass sie die körperliche Läsion dem Schmerz einer Entwertung vorziehen. Sie verwandeln Scham und Angst in körperlichen Schmerz, indem sie sich Haare ausreißen, sich schneiden oder glühende Münzen auf den Arm legen.

Warum also nicht lieber zusammen schweigen, als sich Sprachlosigkeit vorzuwerfen oder einander nicht zu Wort kommen zu lassen? Es gibt Paare, welche die Sprache vorwiegend dazu nutzen, sich zu streiten. Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Er nimmt den Partner nicht als schutzbedürftiges, verletzliches Wesen wahr, sondern als Dominator, der ihn zur eigenen Version der guten, richtigen Partnerschaft zwingen will.

Solche Machtlust scheint dem Menschen den Verstand zu rauben. Darin wurzelt auch das charakteristische Rätsel im Erleben des Paartherapeuten, der beide Partner in Einzelgesprächen kennengelernt hat. Wie kann es geschehen, dass zwei Menschen, die ihm gegenüber höflich, einfühlend, ja humorvoll sein konnten, gegeneinander so unhöflich, einfühlungs- und humorlos sind?

Diese Paare sind übersättigt von ihrer eigenen Geschichte. Der Partner, so wird es erlebt, hat sich selbst gefälscht. Er hat es erzwungen, die Katze im Sack zu kaufen. Es ist mühsam bis unmöglich herauszuarbeiten, dass er der gleiche geblieben ist und nur eine Fantasie von Gemeinsamkeit und magischer Symmetrie korrigiert werden muss, die bisher dem Liebespaar die Wahrnehmung der Unterschiede erspart hat.

Die Realität des Partners flößt Angst ein, während der Kampf gegen diese Realität beruhigt: Ich tue alles, um ihn wieder in einen sicheren Ort zurückzuverwandeln, ich darf hoffen, dass es mir diesmal, mit letzter Anstrengung, vielleicht auch gelingen wird.

Ein brillanter, sehr erfolgreicher Geschäftsmann drohte in nächtelangen Debatten immer wieder, seine Frau zu verlassen, wenn sie sich nicht endlich an das halte, was sie versprochen habe (und was sie in ein sehr enges Korsett geschnürt hätte). Sie gab ihre Fehler zu, versprach wieder, sie wolle sich bemühen, aber sie sei vergesslich und mache eben Fehler. Er wütete gegen diese Ausreden. Sie versprach, sich zu bessern.

Als ich ihn fragte, warum er seine Frau nicht so akzeptieren könne, wie sie sich nun einmal aufgrund seiner Erfahrungen abbilde, sondern sie mit so viel vergeblichem Aufwand verändern wolle, sagte er: »Ich hab sie lange genug so ertragen, wie sie ist, jetzt bin ich dran!« Er hatte keinen Menschen geheiratet, sondern einen Entwurf.

Solche Ehen wecken Zweifel, ob die menschliche Intelligenz durchweg dazu dient, die Realität zu erkennen und zu bewältigen. Das scheint nur so lange zu gelten, wie keine intime Beziehung die Bühne beherrscht. Dann kann auch eine untadelige geistige Begabung in den Dienst eines unrealistischen Entwurfs treten, der mit hohem Energieaufwand verwirklicht werden soll. Erfahrungen des Scheiterns führen nicht dazu, diese Versuche aufzugeben. Sie werden im Gegenteil intensiviert. Erst wenn völlige Erschöpfung droht, endet dieser Traumliebeskampf.

Worte können den Partner streicheln, ihn bestätigen, ihm sagen, dass er nicht nur von außen, sondern auch in seinem Inneren, in seinen Gefühlen so gesehen wird, wie er gesehen werden möchte. Oder aber sie können ihn ängstigen, einschüchtern, kränken, zur Wut reizen, weil sie unter das dringen, was er natürlich und normal findet und anerkannt haben möchte. Sie können körperliche Veränderungen zu Bösem machen (»du bist fett geworden!«) oder Verhalten negativ zusammenfassen und eine böse Kraft hinter ihm beschreiben (»du bist kalt und egoistisch«).

In belasteten Partnerschaften wird der Partner mit Angst wahrgenommen, weil er nicht so ist, wie er sein müsste, und womöglich wieder einmal mit einer Realität konfrontiert, die er doch schon längst abgelegt hätte, wenn er liebenswert wäre oder sich wenigstens bemühen würde, es zu werden. Er wird erzogen, mit den Mitteln der schwarzen Pädagogik: Es wird ihm klar gemacht, wie er sein müsste, und in diesem Bestreben wird er als Liebesobjekt unsichtbar, er trägt eher das Bild eines vergessenen Feindes, dem man auf gar keinen Fall begegnen möchte.

Wer vorwurfsvoll Kommunikation einfordert, kämpft gegen die Störung, die er selbst mitbringt. Indem er das Schweigen des Partners nicht respektiert, sendet er blind weiter und weiter, wo er nichtverbale Signale empfangen könnte. Es ist ähnlich wie mit den Vorwürfen des Egoismus oder der Rechthaberei: Einem entschiedenen Nicht-Egoisten und Nicht-Rechthaber würden der Egoismus und die Rechthaberei anderer Personen schlichtweg nicht auffallen.

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