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Der Schäfer und die Wissenschaft

Im thüringischen Saara zeigt Nico Kießhauer auf einem früheren Hausmüllplatz, wie sich Landwirtschaft und Naturschutz vereinen lassen

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei Nico Kießhauer in Thüringen vereinen sich ökologische Leidenschaft mit Geschäftssinn und einem Hang zu alten Haustierrassen. Bemerkenswert ist die Kooperation mit Altenburgs Naturkundemuseum.

Ziegen mögen offenbar grüne Äpfel. Gelenkig und elegant stellt sich ein Bock auf die Hinterläufe und reicht so gerade an die untersten Obstbaumzweige heran. Nico Kießhauer weiß nicht, ob er schmunzeln oder die gymnastische Aktion besser unterbrechen soll. Denn eigentlich steckte der Nebenerwerbsschäfer die vier Thüringer Waldziegen zu seinen fünf Skudden - einer alten, bedrohten Schafrasse -, damit sie sich als Landschaftsentkrauter betätigen. Sie sollen Brombeere, Holunder, Brennnesseln und Haselnuss in Schach halten.

Dennoch ist er nicht unzufrieden mit dem Bild, das sich heute auf seiner Streuobstwiese am Rande des Dörfchens Saara bei Altenburg bietet - auch dank der robusten Ziegen, die praktisch keine Hartkost scheuen. »Kein Vergleich zu dem Zustand, den die Fläche noch vor einem Jahr bot«, erzählt der 33-Jährige. Damals war die einstige Kleingartenanlage im Grunde eine zugewucherte illegale Hausmülldeponie. Erst ab Herbst 2013 konnte er mit der Beweidung beginnen.

Doch das war natürlich nicht allein das Verdienst seiner Waldgeißen. Handfeste Hilfe beim Entrümpeln, Entbuschen, erstem Rekultivieren, Baumverschnitt sowie beim Anlegen von drei Feuchtbiotopen, die auch als Tränke dienen, kam von Mitarbeitern des Altenburger Naturkundemuseums Mauritianum sowie freiwilligen Helfern. Sie opferten dafür manches Wochenende - so wie Kießhauer auch. Der gelernte Vermessungstechniker und Landschaftsökologe beschäftigt sich in einer Verwaltungsgemeinschaft mit Liegenschaften und hält Schafe und Kleinvieh nur nebenher. Elisabeth Endtmann vom Mauritianum wiederum war auf der Suche nach geeigneten Flächen für ihr Naturschutzprojekt »Sprotteaue/Eremit-Lebensräume Altenburger Land«. Zur Erläuterung: Die Sprotte ist ein Nebenfluss der Pleiße in Ostthüringen, der Eremit ein Rosen- oder Juchtenkäfer, den die Rote Liste in Deutschland als »stark gefährdet« einstuft. Gefördert wird das Vorhaben im Rahmen des Thüringer Landesprogrammes »Entwicklung von Natur und Landschaft« (ELN). »Wir sind Projektträger und konnten hierzu als Partner, der über einiges finanzielles Hinterland verfügt, auch noch die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe ins Boot holen«, erklärt die promovierte Biologin Endtmann, die als Projektleiterin in der Museumsaußenstelle in Großstöbnitz tätig ist. Die NABU-Stiftung erwarb schließlich die Fläche.

Als weitere glückliche Fügung erwies sich dabei, dass Mauritianum-Direktor Mike Jessat zugleich Landeschef des Naturschutzbundes (NABU) in Thüringen ist. So stemme man, wie Elisabeth Endtmann erzählt, gemeinsam auch zwei weitere ELN-Vorhaben: den Schutz des Kammmolches im Bereich der Haselbacher Teiche sowie den Biotopverbund in Pleißen- und Wiera-Aue. Nutznießer hiervon ist neben Weiß- und Schwarzstorch, Fischotter, Wechselkröte, Laubfrosch und Haselmaus auch der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling - und dem gilt nun auch in Saara das besondere Augenmerk des Nebenerwerbsschäfers. Denn dieser seltene Tagfalter braucht für sein Werden neben dem Großen Wiesenknopf - Kießhauer musste das Rosengewächs gegen Schaf- und Ziegenverbiss auf seiner Wiese zusätzlich einzäunen - auch noch zwei spezielle Ameisenarten als Brutpfleger. Höchst kompliziert ist also das Ganze und wohl nur von einem Landwirt zu bewältigen, der wie ein Naturschützer tickt. So freut sich denn die Biologin, dass sie ihn gefunden hat. Entstehe doch damit »inmitten intensiv bewirtschafteter Felder wieder Lebensraum für bedrohte Arten«. Für Kießhauer rechnet sich die Arbeit freilich nur dank öffentlicher Förderungen. »Sie machen mindestens 70 Prozent meiner Einnahmen aus, denn die Tiere an sich sind nicht rentabel«, bedauert er. Vor allem der Vertragsnaturschutz, bei dem in Thüringen mittlerweile ein besonderer Fokus auf der Pflege von Streuobstwiesen liegt, mache es lohnend.

Von der NABU-Stiftung erhält er hingegen nichts für sein Tun. Dafür spendierte sie ihm aber im Rahmen des ELN-Projekts den Zaun um das 8000 Quadratmeter große Areal. »Das ist schon eine große Hilfe: Robinienpfähle, solide verzinkt - da habe ich 15 Jahr meine Ruhe«, sagt er. Denn andernfalls hätte er zunächst in einen Elektroferch investieren und diesen dann ständig umsetzen müssen. Das sei nicht nur aufwendig, sondern erzwinge wegen des anliegenden Stroms zusätzliche Sicherungen für Mensch und Tier, sagt Kießhauer.

Perspektivisch hofft er aber, mit beweideten Streuobstwiesen auch wirklich Geld verdienen zu können. Angetrieben von ökologischer Leidenschaft (»Die beste Erhaltung ist die Nutzung«) ersann er etwa ein Geschäftsmodell, das er »Das geborgte Schaf« nennt. Es richtet sich an Besitzer von Streuobstflächen, die mit deren Pflege überfordert sind und bei ihm von Frühjahr bis Herbst vierbeinige Bewuchskurzhalter mieten können. Allerdings, so räumt Kießhauer ein, rechne sich das noch nicht so recht.

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