Geisterhafte Lücke

Das Zeughauskino präsentiert »Fragmente einer Welt - Jüdisches Leben im polnischen Film«

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein unglückliches Liebespaar, das nicht zueinander kommen kann, findet sich im Jenseits wieder. Denn der verhinderte Bräutigam Chanan wird nach seinem Tod zum Dybbuk, einem jüdischen Totengeist, der sich schließlich in den Körper seiner Geliebten Lea einschleicht und so manipuliert, dass auch sie das Zeitliche segnet.

So grob könnte man den wohl berühmtesten polnisch-jiddischen Film »Der Dybbuk« (1937) zusammenfassen. Doch man muss dieses so unheimliche wie unterhaltsame auf Jiddisch gedrehte Schwarz-Weiß-Drama mit seinem Schtetl, seinen Rabbis, Tänzen und Liedern selbst gesehen haben. Es ist ein einzigartiges filmisches Zeugnis jüdischer Kultur im Vorkriegspolen, kurz vor ihrer Auslöschung durch den Holocaust. In der vom Polnischen Institut Berlin und dem Zeughauskino veranstalteten Filmreihe »Fragmente einer Welt - Jüdisches Leben im polnischen Film« wird dieser Klassiker neben anderen Dok- und Spielfilmen nun gezeigt.

»Der Dybbuk« ist ein Geisterfilm: Ein Friedhof, ein gespenstischer, allwissender Wanderrabbi und schließlich der Dybbuk selbst bestimmen sein Ambiente. Leider sollte sich das Werk im Verlauf der Geschichte als in mehrfacher Hinsicht gespenstisch erweisen. Denn im heutigen Polen gibt es keine Schtetls mehr und kaum noch Rabbis. Jüdische Friedhöfe verwaisen und auch Jiddisch wird nach der beispiellosen Vernichtung jüdischen Lebens durch die NS-Barbarei dort nicht mehr gesprochen.

Insofern haftet jeder Suche nach jüdischen Spuren im heutigen Polen etwas Geisterhaftes an. Die Lücke, die durch den Holocaust entstanden ist, kann nicht geschlossen werden. Dem heutigen Betrachter bleiben nur Fragmente. So besteht Jolanta Dylewskas Dokumentarfilm »Po-Lin« aus kostbaren Amateuraufnahmen polnischer Schtetls aus den 30er Jahren. Eine rege Kleinstadtkultur mit Geschäften, Synagogen und Märkten ist dort zu entdecken. Jüdische Familien, Kinder oder Paare schauen schüchtern, neugierig oder vergnügt in die Kamera oder werden in ihrem Alltag gefilmt. Der Anblick der Kinder stimmt besonders traurig, kann man sich doch ausmalen, dass sie nach den Aufnahmen nur noch wenige Jahre zu leben hatten. So ist es eine Erleichterung, herauszufinden, dass wenigstens einige Schauspieler aus »Der Dybbuk« den Krieg im Exil überlebten.

Ein auf einem Davidstern eingeblendetes »Koniec« (Ende) im Filmabspann gibt es im heutigen polnischen Kino auch nicht, doch einige Filme mühen sich redlich, jüdisches Leben fiktiv festzuhalten.

So ist der Held von Jerzy Kawalerowicz’ Historiendrama »Austeria« (1983) ein weiser jüdischer Herbergsvater namens Tag (Franciszek Pieczka) während des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs im österreichisch besetzten Galizien. Unterschiedliche Menschen finden bei ihm vor den Kämpfen Zuflucht: chassidische Juden, ein ungarischer Husar, eine österreichische Baronin. Jüdische Bräuche und Folklore sind auch hier mit einem Hauch Mystizismus verbunden. Wenn am Ende die Juden Kanonenkugeln zum Opfer fallen und sich das Wasser, in dem sie baden, blutrot färbt, ist der Symbolismus selbstredend.

6.-9. 9. im Zeughauskino, Unter den Linden 2

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