nd-aktuell.de / 09.09.2014 / Politik / Seite 14

Die Jenaer Jahre der Ricarda Huch

Eine neue Biografie zeigt die Liebe der Dichterin zu der Universitätsstadt - und die Hintergründe ihres Weggangs

Doris Weilandt
Was verband die Dichterin Ricarda Huch, deren 150. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, mit Jena in Thüringen? Und warum ging sie 1947 in den Westen? Eine neue Biografie versucht eine Antwort.

»Ricarda Huch - Die Summe des Ganzen« ist der Titel einer neuen Biografie über die Dichterin anlässlich ihres 150. Geburtstages. Bei der Beschäftigung mit Huch (1864-1947) fiel der Autorin Katrin Lemke auf, dass deren Abreise aus Jena im Jahr 1947 immer als Flucht in den Westen gedeutet wurde. Dabei vermitteln die Dokumente, die Lemke in verschiedenen Archiven, darunter dem Deutschen Literaturarchiv Marbach eingesehen hat, einen anderes Bild. »Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht gehen wollte«, sagt die Autorin und untermauert ihre These mit Briefen und Zeugnissen nahe stehender Personen wie Antje Lemke.

»Für den Wechsel nicht nur des Wohnortes sondern damit auch der Zonen, sind ausschließlich persönliche Gründe entscheidend«, heißt es in einem Schreiben von Lemke, die als Sekretärin für Ricarda Huch arbeitete. Und: »Frau Huch möchte nicht, daß dieser von ihr schon lange geplante Schritt als politisch ausgelegt wird.« Anlass für die Übersiedlung ist die Familie. Schwiegersohn Franz Böhm wurde zunächst als Kultusminister in Hessen eingesetzt, bevor der Jurist eine Professur in Frankfurt am Main antrat. Die greise Dichterin, die nicht mehr allein leben konnte, schrieb an ihre Nachbarin Annemarie Dahlet im Oberen Philosophenweg in Jena: »(…) ich werde nie mehr so glücklich sein, wie ich in Jena war«. Sie starb nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft im Taunus.

Jena spielte im Leben von Ricarda Huch mehrfach eine Rolle, bevor sie sich mit der Familie ihrer Tochter 1936 dort niederlässt. Bei der Erwägung, in eine kleine Universitätsstadt zu ziehen, war zuvor auch von Jena die Rede. Ausschlaggebend für diesen Gedanken war sicher die intensive Beschäftigung mit der Romantik, deren frühes Zentrum Jena war. Und schließlich lud Verlegergattin Helene Voigt-Diederichs sie herzlich ein in eine Stadt, die sie »sehr lieben« würde.

»Ricarda Huch ist immer noch in Jena präsent«, erzählt Katrin Lemke und meint damit nicht nur das Wohnhaus und eine Inschrift an der Camsdorfer Brücke. Über Generationen ist die Erinnerung an die »erste Frau Deutschlands«, wie Thomas Mann sie bezeichnet, in der Stadt lebendig geblieben.

Die Namensgleichheit der Huch-Sekretärin mit der Autorin der Biografie ist kein Zufall, sie ist verwandtschaftlicher Natur. Die musisch hochbegabte Antje Lemke war die erste Ehefrau von Nervenarzt Rudolf Lemke. Der fertigte als ambitionierter Freizeitmaler in mehreren Sitzungen 1941 ein Porträt von Ricarda Huch, das jetzt das Wohnzimmer der Huch-Biografin Katrin Lemke schmückt. Huch schrieb über das Bild, das sie als fast 80-Jährige zeigt: »Ich werde zur Zeit gemalt von dem Mann einer jungen Frau, die so reizend ist, daß ich ihr nichts abschlagen kann.« Dargestellt ist die betagte Dichterin als unbeugsame Frau, die in einem halbdunklen Raum vor einem Bücherregal sitzt.

Das Porträt entstand nach einem Strafverfahren als Folge einer Denunzierung. Wegen ihrer Kritik an Staat und Nazi-Partei war die Dichterin wegen »Vergehens gegen das Heimtückegesetz« angeklagt. Ricarda Huch litt darunter sehr. Im Jahr 1942 beschrieb sie ihre Situation im Dritten Reich: »Ich sehe nichts als Morast und empfinde nichts als Grauen und Ekel.« Zu einem von ihr begründeten »Jour Fixe« trafen sich wöchentlich Freunde aus dem Umkreis der Universität Jena, um sich über die Situation auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken.

Doch nicht nur mit dieser Gesellschaft von Gleichgesinnten pflegte Huch regen Austausch. In ihrem Terminkalender findet sich täglich eine Einladung zu Freunden und Bekannten oder zu deren Gegenbesuch im eigenen Hause. Die Kulturphilosophin Edith Eucken-Erdsick (1896-1985) schilderte Ricarda Huch als »bezaubernd«: »Ihre Erscheinung hatte etwas Transparentes, wie von einer inneren Flamme durchleuchtet. In ihrer Art zu sein lag Poesie.«

Katrin Lemke »Ricarda Huch - Die Summe des Ganzen«, Weimarer Verlagsgesellschaft 2014, ISBN:978-3-86539-712-6; »Ricarda Huch in Jena«, Themenheft Weimar-Jena. Die große Stadt, Heft 2 2014, Verlag Vopelius, ISSN: 1869-7895