Zuerst Uhrigs, dann Saefkows Genossen

Erstmals erinnert ein Denkmal an den antifaschistischen Widerstand in den Askania-Werken

Kann diese Tragik noch überboten werden? Einem deutschen Kommunisten gelingt während des Transports zu seinem Prozess vor dem »Volksgerichtshof«, bei dem ihn das Todesurteil erwartet, die Flucht. In Oberschlesien von einer Wehrmachtsstreife aufgegriffen, in Uniform gesteckt und an die Ostfront geschickt, läuft der Hitlergegner bei nächstbester Gelegenheit zur Roten Armee über und wird in einen Kriegsgefangenenzug nach Karaganda gesteckt, wo er im August 1945 an Unterernährung und Krankheit stirbt. Ohne seine Familie, von der er bei seiner Verhaftung im Jahr zuvor in Berlin gewaltsam getrennt worden ist, je wiedergesehen zu haben.

»Was ist in einem Krieg nicht tragisch«, hält Helmut Hirsch, der ältere Spross des Widerstandskämpfers Paul Hirsch entgegen. Er berichtet: »Mein Vater bekam im Lazarett des Lagers in Karaganda medizinische Hilfe. Aber er war von der Folter der Gestapo schon zu sehr geschwächt. In Haft hatte er versucht, sich das Leben zu nehmen, sich die Pulsadern aufgeschnitten und viel Blut verloren. Dann die Flucht am 28. November 1944. Bis März 1945 lebte er untergetaucht in Berlin, physisch wie psychisch erschöpft und ohne Papiere. Ende März 1945 nahm er alle Kraft zusammen und zog gen Osten der Roten Armee entgegen. Gegen die er dann kämpfen sollte. Wie viel kann ein Mensch ertragen, ohne zu zerbrechen?« Aber warum, frage ich den Sohn, hat Paul Hirsch sich bei seiner Desertion den Sowjetsoldaten nicht als Kommunist und Antifaschist ausgewiesen? »Wie denn? Ohne Dokumente. Zudem: Als es nach zwölf Jahren zu Ende ging mit dem angeblich Tausendjährigen Reich waren plötzlich alle Deutschen keine Nazis mehr. Ich kann verstehen, wenn damals sowjetische Soldaten und Offiziere allergisch auf diese wundersame Wandlung der strammen Volksgenossen reagierten.«

Bärbel Schindler-Saefkow, Tochter des vor 70 Jahren, am 18. September 1944 ermordeten Anton Saefkow, zu dessen Widerstandskreis Paul Hirsch gehörte, ist betrübt: »Es ist uns nicht gelungen, einen Stolperstein für Paul Hirsch in Berlin zu setzen. Weil er rein faktisch nicht von den Nazis ermordet worden ist. Aber er starb in Folge der Misshandlungen in faschistischer Haft. Paul Hirsch hat noch keinerlei Würdigung für seinen Kampf gegen Hitler erfahren, obwohl er in Tempelhof und in den Askania-Werken die Seele des Widerstandes war.« Die Historikerin und Mitbegründerin der »Initiative zur Erinnerung an den Arbeiterwiderstand gegen das NS-Regime« ergänzt trotzig und erfreut: »Nun aber bekommt Paul Hirsch ein Denkmal.«

Natürlich nicht für sich allein. Das »Denkzeichen«, das am kommenden Sonnabend (13. September), am Vorabend des diesjährigen Tages der Erinnerung und Mahnung eingeweiht wird, würdigt zugleich Hirschs Mitstreiter, darunter Paul Junius, Karl Ladé, Stanislaus Szcygielski und Walter Zimmermann, die im November 1944 vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt und noch in den letzten Kriegswochen hingerichtet worden sind. Das Erinnerungsmal wird am historischen Ort angebracht. Dort, wo sie Widerstand geleistet haben, sei es durch mündliche oder schriftliche Agitation, Sabotage oder solidarische Hilfe - auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Askania-Werke in Berlin-Mariendorf.

Die 1921 gegründete und namentlich Bezug auf ein mittelalterliches Adelsgeschlecht in Brandenburg und Sachsen nehmende Aktiengesellschaft Askania avancierte in der Nazizeit zu einem wichtigen und rasch expandierenden Rüstungsbetrieb, der sich vor allem auf Feinmechanik für den Flugzeugbau, optische Geräte und Messtechnik spezialisierte. 1944 arbeiteten dort an die 24 000 Beschäftigte, darunter bis zu 7000 Zwangsarbeiter aus Ost- und Westeuropa. Im Sommer des Jahres flog in Folge der Verhaftung von Anton Saefkow, Franc Jacob und Bernhard Bästlein auch das hiesige Netz der Antifaschisten auf.

Geknüpft worden ist dies bereits kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler von kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern. Nachdem deren Parteien und die Gewerkschaften verboten worden waren, fanden sich sie sich zumeist über den Arbeitersport zusammen. Zwar waren dessen Vereine wie »Fichte« oder die »Naturfreunde« ebenfalls von den braunen Machthabern für illegal erklärt worden, doch wurden die Verbindungen heimlich aufrechterhalten. Die Wanderfreunde und Arbeitersportler trafen sich in Berlins Umgebung und im Sommer zum FKK am Zeesener See; im Winter unternahmen sie Skiausflüge ins Erzgebirge. Bei der Gelegenheit tauschten sie Gedanken zum Geschehen im Reich und später an den Fronten aus und berieten gemeinsame Aktionen.

In losen Zusammenhängen gehörten sie anfangs zu der nicht nur in Berliner Betrieben operierenden Widerstandsgruppe um Robert Uhrig. Kurz nachdem dieser mit 200 seiner Genossen 1942 verhaftet worden war, entstand die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation, die alsbald 500 Akteure reichsweit zählte, vornehmlich Arbeiter, aber auch Ärzte, Lehrer, Ingenieure, Künstler und Kleinunternehmer. Es gelang Saefkow, Jacob und Bästlein, die nicht enttarnten Verbindungen aus Uhrigs Zeit in den Askania-Werken wiederzubeleben, obwohl es in diesem kriegswichtigen Betrieb einen sehr strengen Werkschutz sowie umtriebige Abwehrbeauftragte gab. Einer der Widerständler, Erwin Reisler, erinnerte sich später: »Wir waren alle Uhrig- und danach alle Saefkow-Gruppe, ohne dass wir deren Namen damals kannten.« Arne Seifert bezeugt, dass auch sein Vater erst nach dem Krieg erfuhr, für Saefkow, Bästlein und Jacob tätig gewesen zu sein. Clemens Seifert, der sein Abitur in der Weimarer Republik an der Karl-Marx-Schule in Neukölln abgelegt hatte, arbeitete bei Askania in Mariendorf. Bereits im März 1935 verhaftet und in der berüchtigten Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße verhört, hatte man ihm nichts konkret nachweisen können und wieder entlassen müssen.

»Die Verhaftung schreckte ihn nicht, er nahm sofort wieder Kontakt zu den Genossen auf, reiste als Kurier ins tschechische Riesengebirge und beherbergte in unserer Wohnung über zwei Jahre eine Jüdin«, erzählt der Sohn stolz. Außerdem habe seine Mutter Ilse sich um sowjetische Zwangsarbeiter gekümmert. Sie arbeitete als Krankenschwester in einem Lager. Und sie barmte der traurige Anblick der »zerlumpt bekleideten, hungrigen Sowjetbürger« zutiefst, die jeden Morgen in der Früh durch Berlins Straßen zu den Fabriken getrieben wurden, »ermattet und sich gegenseitig stützend«.

Zu den Aktivitäten der Antifaschisten bei Askania gehörten Spendensammlungen, nicht nur für Zwangsarbeiter, ebenso für untergetauchte Juden und Genossen. Im Mai 1944 konnte Paul Hirsch allein 400 Reichsmark einsammeln, eine beachtliche Summe damals. Auch die Frauen der Widerständler wie Herta Hirsch bemühten sich in ihrem Bekanntenkreis um Geld oder Lebensmittelkarten. Vorsichtig und streng vertraulich. Ein nach der Befreiung in Antifa-Kreisen kursierendes Gerücht, wonach der Gestapo mit der Verhaftung von Paul Hirsch eine Spendenliste in die Hände gefallen sei, stimmt nicht. Bärbel Schindler-Saefkow hat die Akten akribisch studiert und korrigiert: »An keiner Stelle findet sich ein Hinweis darauf. Im Gegenteil, die Akten belegen, dass die Sammelaktionen unter Beachtung der strengen Regeln der Konspiration erfolgten.« Das Gerücht speiste sich wohl aus dem noch nachhallenden, schmerzenden Schock der zahlreichen Verhaftungen im Sommer/Herbst 1944. »Es gab keinen Verräter«, betont Helmut Hirsch. »Keiner der Verhafteten versuchte auf Kosten der anderen sein Schicksal zu erleichtern.«

Clemens Seifert, der später an der Humboldt-Universität zu Berlin und beim Kulturbund arbeitete, konnte erleben, wie aus seinem Sohn etwas »Rechtes« wurde: Arne Seifert wurde Diplomat der DDR. Paul Hirsch war dieses Glück nicht vergönnt, doch auch seine Söhne gingen ihren Weg: Jürgen Hirsch wurde Ingenieur und Helmut Hirsch arbeitete in der Weltraumforschung der DDR. Und beide frönen dem Sport ihrer Eltern: Wasserwandern und Ski.

Die Söhne werden bei der Einweihung des »Denkzeichens« am 13.9., 15 Uhr, in der Großbeerenstraße 2 in Berlin-Mariendorf, dabei sein. Die Historikerin Annette Neumann führt danach über das Gelände von ehemals Askania.

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