Ein Zeichen der Wertschätzung

Am Bahnhof Köln-Deutz wird eine Gedenktafel zur Erinnerung an die »Gastarbeiter« enthüllt

  • Anja Krüger 
und Pascal Beucker, Köln
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor 50 Jahren kam Armando Rodrigues de Sá in Deutschland an. Viele Arbeitsmigranten aus Portugal flohen damals vor der Salazar-Diktatur nach Deutschland.

Ein Heer von Fotografen hat die Objektive auf ihn gerichtet. Honoratioren schütteln seine Hand. Die Werkskapelle von Felten & Guilleaume intoniert »Auf in den Kampf, Torero«. Nach 48-stündiger Zugreise übernächtigt nimmt Armando Rodrigues de Sá mit verlegener Miene auf dem Bahnhof in Köln-Deutz sein Begrüßungsgeschenk entgegen: eine Zündapp Sport Combiette. »Der herzliche Empfang und das Moped machen mir die Trennung von meiner Familie leichter«, sagt der 38-jährige Zimmermann auf Portugiesisch einem Dolmetscher. Er werde versuchen, seine Frau und seine zwei Kinder »bald nachzuholen«. Es wird nie dazu kommen.

Der Handwerker aus dem nordportugiesischen Dorf Vale de Madeiros war der bekannteste Arbeitsmigrant Deutschlands. Vor 50 Jahren erkor die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ihn durch Blindtippen auf einer Liste zum einmillionsten »Gastarbeiter«. Das Bild des hageren Mannes mit dem breitkrempigen Hut und verschlissener Jacke, der auf seinem Begrüßungsgeschenk sitzt, gehört zum kollektiven Gedächtnis der BRD.

Am 10. September 1964 kam Armando Rodrigues de Sá von der iberischen Halbinsel gemeinsam mit 172 Landsleuten und 933 Spaniern in der Westdeutschland an. Aus diesem Anlass wird an diesem Samstag auf dem Bahnhof Köln-Deutz eine Gedenktafel enthüllt: »Den Eingewanderten gewidmet.« Außerdem gibt es einen Empfang im Rathaus und ein Kolloquium unter dem Motto »Rückblick, um die Zukunft zu gestalten«. Mit dabei sein werden die Rodrigues-Kinder João Pais und Rosa sowie sein Enkel Antonio. Organisiert hat die Festivitäten eine Gruppe portugiesischer Einwanderer. Der private Kreis hat eine Reihe namhafter Unterstützer gefunden, unter anderem die Stadt Köln, die Caritas und das portugiesische Generalkonsulat.

»Die Ehrung Armando Rodrigues de Sá als Millionster Gastarbeiter hat für Portugiesen in Deutschland einen großen symbolischen Stellenwert«, sagt Cristina Krippahl, die zum Organisationskreis gehört. Das gilt auch für das Gedenken an den 50. Jahrestag. »Das ist auch eine Wertschätzung der portugiesischen Einwanderer.« Heute leben in Deutschland noch etwa 12 000 Portugiesen. Eine kleine Gruppe, angesichts der mehr als 16 Millionen Menschen in Deutschland mit Migrationsgeschichte. »Viele sind nach der Nelkenrevolution nach Portugal zurückgegangen«, sagt Krippahl.

Wie Armando Rodrigues de Sá kam auch Cristina Krippahl aus wirtschaftlichen Gründen in die BRD. »Aber die Umstände sind nicht vergleichbar«, sagt sie. »Bei mir ging es auch um Abenteuerlust.« Bei ihm war es hingegen pure Not. Krippahl reiste mit 18 Jahren nach Westdeutschland. Das war 1979, das Jahr, in dem Armando Rodrigues de Sá starb. Sechs Jahre hatte er als Hilfsarbeiter in der BRD gearbeitet, bei Baufirmen in Stuttgart, Ulm, zuletzt in Wiesbaden. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren hart. Es wohnt sich nicht komfortabel in einer Holzbaracke. Fast seinen ganzen kärglichen Verdienst schickte er seiner Familie.

Nach einem Arbeitsunfall plagten ihn Schmerzen, die nicht mehr vergehen wollten. Auf Heimaturlaub in Portugal prophezeite ihm ein Arzt: »Wenn du zurück nach Deutschland gehst, wirst du deine Knochen dort lassen.« Er kehrte nicht wieder zurück. Ein Tumor wurde diagnostiziert. Fast alle seine Ersparnisse gingen für die Krankenbehandlung drauf. Armando Rodrigues de Sá starb im Alter von nur 53 Jahren an Krebs. Von seinem Tod nahm kein deutsches Medium Notiz.

Krippahl hat nach Jobs in der Gastronomie und als Übersetzerin das deutsche Abitur gemacht und studiert. Eigentlich hatte auch sie irgendwann nach Portugal zurückkehren wollen, doch dann kam ihr die Liebe dazwischen. Heute besitzt sie die doppelte Staatsbürgerschaft und arbeitet als Journalistin in Bonn. »Für die ersten Einwanderer gab es keine Anlaufstellen, um sich zum Beispiel über ihre Rechte beraten zu lassen«, sagt sie. Das wenigstens sei heute anders - auch wenn noch immer einiges im Argen liegt. »Die Leute, die kommen, brauchen Unterstützung bei der Integration«, sagt sie. Das beginne beim Erlernen der Sprache und gehe weiter bis zu einer angemessen Wertschätzung - dem Gefühl, Willkommen zu sein. »Die Menschen haben mehr Anerkennung verdient«, sagt Krippahl. »Das gilt vor allem für diejenigen, die als erste gekommen sind.«

Viele Portugiesen der ersten Einwanderergeneration kamen aus politischen Gründen nach Deutschland - auf der Flucht vor der Salazar-Diktatur, der 1974 die Nelkenrevolution ein Ende bereitete. Einer von ihnen ist Manuel Campos, der ebenfalls zu den Organisatoren der Feierlichkeiten am Samstag gehört. Er entging nur knapp seiner Verhaftung und floh 1972 nach seinem Philosophie- und Theologiestudium nach Kaiserslautern. »Man brauchte damals in Portugal nicht politisch organisiert zu sein, um verfolgt zu werden«, sagt der heute 66-jährige Gewerkschafter. Es reichte, im Beisein eines Spitzels etwas gegen die Diktatur zu sagen.

Ob sie aus Griechenland, Spanien, Portugal oder der Türkei kamen: Zahlreiche Einwanderer in den 1960er Jahren kamen aus Diktaturen, in denen Gewerkschaften verboten waren. Das habe die gewerkschaftliche Organisierung der Migranten erschwert, berichtet Campos. »Viele Einwanderer hatten großes Misstrauen«, sagt der frühere IG-Metall-Sekretär. »Es war wichtig, das Vertrauen der Kollegen zu gewinnen«, sagt er. Außerdem war die erste Generation der »Gastarbeiter« noch von der betrieblichen Interessenvertretung ausgeschlossen. Sie konnte keine portugiesischen, türkischen oder griechischen Betriebsräte wählen. Das ist seit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 anders. »Heute gibt es viele Betriebsratsvorsitzende und Konzernbetriebsratsvorsitzende mit Migrationshintergrund«, sagt Campos.

Armando Rodrigues de Sá hätte das wohl gerne miterlebt. Die Zündapp Sport Combiette, die er 1964 geschenkt bekam, steht heute im Bonner Haus der Geschichte. Ende der 1990er Jahre kaufte das Museum seiner Witwe das Moped für 10 000 Mark ab. Von dem Geld kaufte sich die in Portugal lebende Maria Emilia Pais de Sá einen elektrischen Rollstuhl.

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