»Abgesang« ohne Sachkenntnis

Rudolf Walther über einen Fehltritt im »FAZ«-Feuilleton und einen moralisierenden Pazifismus

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass konservative Zeitungen Linke attackieren, ist normal. Erstaunlich ist, auf welchem intellektuellen Niveau sie das tun. Der Feuilletonist der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ), Christian Geyer, griff vor einigen Wochen die pädagogischen Konzepte von Integration und Inklusion an und verriet dabei nur zweierlei: politisch vernagelte Ressentiments und nicht den Schimmer einer Ahnung der pädagogischen Praxis. Kürzlich nahm sich Geyer den Pazifismus vor und widmete ihm einen »Abgesang«, der ohne Sachkenntnis auskommt.

Der Begriff Pazifismus stammt vom französischen Notar Émile Arnaud, der sich 1901 damit von der religiös, moralisierend und karitativ unterlegten Friedensschwärmerei absetzen wollte. Das ist nur halbwegs gelungen. In den Friedensbewegungen ging und geht es immer um beides: eine eher reflexionsferne und unpolitische, emotional oder religiös motivierte Sehnsucht nach Frieden und Verständigung zwischen den Völkern und eine theoretisch reflektierte und politisch artikulationsfähige Suche nach Frieden und nicht-kriegerischen Konfliktlösungen.

Falsch liegt der Vorwurf unpolitischer Irrationalität pazifistischer Bewegungen, weil selbst für die sentimentale Bertha von Suttner das Gegenteil belegt werden kann. Während die »realpolitische« FAZ das Bombardement der vietnamesischen Zivilbevölkerung noch am 4.3.1965 als »Politik aus der Luft« drapierte, erkannte »die Schwärmerin« Suttner schon 1912, als die italienische Luftwaffe erstmals in der Geschichte Bomben aus der Luft auf Tripolis abwarf, worum es sich handelte: »die Barbarisierung der Luft«.

In der aktuellen Debatte wird »der« Pazifismus beschuldigt, sich seinerseits jenseits der Moral anzusiedeln, weil er bereit sei, Kriegen und Bürgerkriegen tatenlos zuzuschauen. Dieses Argument trifft allenfalls auf einen religiös motivierten Pazifismus zu, der Gewaltanwendung prinzipiell ablehnt. Absolute Gewaltablehnung ist kein moralisch und rational begründbarer Standpunkt, da er ohne verallgemeinerbare Moralprinzipien auskommt. Die Heiligkeit des Lebens etwa ist nur ein Dogma, das schon im Falle eigener Notwehr oder beim möglichen Schutz Dritter vor Mördern als Handlungsmaxime versagt.

Alle reflektierten Formen von Pazifismus lassen sich auf die Diskussion ein, welche Formen von Gewaltanwendung unter welchen Umständen für die Erreichung welcher Ziele zulässig sind. Kriegerische Konfliktaustragung und der atavistische Glaube an ihren Erfolg sorgen nur dafür, dass sich jede Nachkriegszeit zur neuen Vorkriegszeit auswächst und nicht zum Frieden.

Der Vorwurf, »der« Pazifismus sei moralisch indifferent und schaue zu, wie anderswo Menschen umgebracht würden, macht die Verwirklichung von Menschenrechten sozusagen zur Hausaufgabe des Fernsehzuschauers und nährt den Zauber der »Verantwortung«. Auch Geyer operiert in diesem Zusammenhang mit Max Webers Unterscheidung von »Verantwortungs- und Gesinnungsethik«. Sie dient dazu, Friedensbewegungen pauschal der »Moralisierung der Politik« zu bezichtigen. Wer aus dem irrationalen Paradigma ausbricht, wonach nur den Krieg vorbereiten müsse, wer Frieden wolle, gilt als Gesinnungsapostel. Der Pferdefuß dieser frontalen Attacke besteht darin, dass Webers Unterscheidung selbst die Spuren ihrer kriegerischen Geburtsstunde auf der Stirn trägt: Dem Krieg von 1914 verlieh Weber »die Weihe eines deutschen Krieges«. Seine Unterscheidung von »Gesinnungs- und Verantwortungsethik« entwickelte er direkt aus den Gegenpositionen in und zu diesem Krieg: »Herrenvolk« und »Machtstaat« auf der einen, »Polentum« und »Verschweizerung« (1915) auf der anderen Seite.

Die historische Bilanz militärischer Pazifizierungsversuche sieht so schlecht aus wie die Bilanz der Kriegsführung überhaupt. Die Befürworter militärischer Interventionen präsentieren keine belastbaren Argumente, sondern verlassen sich auf die Wirkung von Kriegsbildern und Kriegsberichten und die moralische Empörung bei den Zuschauern. Was die Kriegsbilder und Kriegsberichte betrifft, so bedienen sich die Medien vor allem der Propagandavideos von Terrorgruppen sowie klebrigen Interviews und Homestorys mit Warlords. Medien verbreiten die Propaganda der Kriegsparteien. Und aufgeschreckte »Real«-Politiker reagieren darauf mit Waffenlieferungen statt mit humanitärer Hilfe (Nahrung, Medizin, Evakuierung von Zivilisten, Wirtschaftssanktionen).

Rudolf Walther 
ist Historiker und Publizist. 
Er lebt in Frankfurt am Main.

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