Scharfe Ware aus Eisfeld - bis in die USA

Weltmarkt in Thüringen: Feintechnik Eisfeld

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Heinz Dieter Becker 2007 »zur Feintechnik nach Eisfeld« kam, hatte er von Rasierklingen keine Ahnung - zum Beispiel wusste er nicht, dass etwa 80 Prozent der Menschheit jene klassische Klinge benutzen, die man »Double-Edge-Blade« nennt. Und dass Rasierklingen nicht mehr nur ein scharfes Metall sind, sondern Hightech. Auch in den Produktionshallen lässt sich das nicht ohne Weiteres erkennen. Dass zwischen Schleifmaschinen hochauflösende Mikroskope stehen, ist der einzige Hinweis auf Maßstände weit jenseits des bloßen Auges.

In Eisfeld entstehen vor allem Klingen, mit denen sich Männer tatsächlich rasieren. Von den 58 Millionen Euro Umsatz, die etwa 2014 angestrebt sind, wird wohl nur eine Million im Industriebereich erzielt. Beschäftigt sind derzeit 450 Mitarbeiter, 25 davon Ingenieure oder Techniker. Laut Becker produzieren sie mehr als eine Milliarde Rasierklingen jährlich. Zusätzlich hingen rund 300 weitere Jobs bei anderen Thüringer Unternehmen an den scharfen Metallplättchen - weil nicht nur Feintechnik-Mitarbeiter die Rasierklingen in Kunststoffgehäuse legen, wodurch aus der Klinge erst ein handelsüblicher Rasierer wird. Bis zu einem gewissen Teil seien die Kunststoffgehäuse ausgelagert worden, sagt Becker. Vertrieben werden die Klingen vor allem unter den Eigenlabeln von Drogerie- oder Handelsketten. Und seit Neustem auch als amerikanische Marke.

Die Geschichte von Feintechnik Eisfeld, die Becker erzählt, hat viel mit dem Ersten Weltkrieg zu tun. Bis zu diesem Krieg, erzählt der Träger eines gepflegten Dreitagebarts, habe man sich noch mit Messern rasiert. Die aber konnten Soldaten in Schützengräben nicht pflegen - eine gute Rasur aber war nicht nur aus hygienischen Gründen besonders wichtig, sondern auch wegen der Gasmasken: Nur bei guter Rasur schlossen diese dicht ab. Daher setzten sich die heute bekannten Klingen, um 1875 in den USA erfunden, durch. Nach dem Krieg blieben die meisten bei den neuen Klingen.

Ein Mann namens Albin Ritzmann legte 1920 in Eisfeld den Grundstein für das heutige Unternehmen. Die weitere Geschichte des Betriebs verlief wechselhaft: Enteignung nach dem Weltkrieg, Treuhand, Privatisierung. Dabei half zuletzt ein langer Atem: In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren versuchte man, in Zusammenarbeit mit einem Weltkonzern eine neue Schleiftechnik zu entwickeln, um Klingen haltbarer zu machen. Der Konzern stieg schließlich aus, in Eisfeld bleib man dran - und hatte 2006 Erfolg. Seither gehört man zu den wenigen, die einen »gotischen Bogen« auf die Klinge schleifen können - und ist heute der fünftgrößte Klingenhersteller weltweit. In den vergangenen zehn Jahren verdoppelte sich die Belegschaft.

Laut Erfurter Wirtschaftsministeriums flossen zwischen 1991 und 2009 neun Millionen Förder-Euro - um deren Bedeutung Becker weiß. »Nur aus eigener Kraft hätten wir nicht so schnell wachsen können«, sagt er. Doch wirklich neue Dimensionen ergaben sich mit dem Einstieg des US-Unternehmens »Harry’s« Anfang des Jahres. Seit das junge Unternehmen die Eisfelder Traditionsfirma übernahm, herrscht Aufbruchstimmung - zuvor gehörte man zweifelhaft beleumundeten Private-Equity-Eignern. Nun sollen Rasierer aus Thüringen auch im Direktvertrieb unter dem Label von »Harry’s« in den USA angeboten werden. Das Startup will den Rasierer-Markt so richtig aufmischen.

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