Politiker vergeuden ihr Talent

»Kanzlersouffleuse« Simone Solga wird mit dem »Eddi« geehrt. Ein Gespräch über komische Politik und politische Komik

  • Lesedauer: 9 Min.

Frau Solga, die Kunstfigur, mit der Sie bekannt geworden sind, ist die »Kanzlersouffleuse«. Wie ist es dazu gekommen, dass aus Simone Solga die »Kanzlersouffleuse« wurde?
Ich habe im Fernsehen gesehen, dass viele Politiker so ein Kabel am Ohr haben, das dann irgendwo in der Jacke verschwindet. Da dachte ich mir, aha, die kriegen also Anweisungen, die ihr Profil schärfen und die Stimmung steuern sollen. Irgendwo da oben sitzen unsichtbare Leute, die denen Schlag-Stichwörter einflüstern, zum Beispiel im Wahlkampf, um das zu lenken, was die Politiker sagen. Die Idee, selbst so ein Regisseur zu sein, fand ich witzig. So ist die Idee mit der Souffleuse entstanden. In meinem ersten »Kanzlersouffleuse«-Programm ging es dann auch viel um das Einflüstern. Das habe ich jetzt, drei Programme später, sehr reduziert. Man kann ja nicht immer dasselbe machen.

Sie haben durch diesen Trick die Kanzlerin zu einer Marionette gemacht, an deren Fäden Sie ziehen. Das lässt darauf schließen, dass Sie gute Ideen hatten, wohin Sie Frau Merkel steuern wollten.
Na ja. Ich habe auch erzählt, dass viele große wichtige Sätze der Weltpolitik durch Hörfehler entstanden sind.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel habe ich erzählt, dass mein Großvater, der Gregor Niemand hieß, Souffleur von Walter Ulbricht war. Die haben das mit dem Kabel damals schon ausprobiert, aber der Ulbricht war so ungeschickt, der konnte das nicht. Der hat sich das Ding da ins Ohr reingemacht und dann hat mein Onkel ihm den Satz souffliert: »Ich habe die Absicht, eine Mauer zu bauen«. Ulbricht hat das aber nicht verstanden und stattdessen gesagt: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen«. So ist dieser Satz entstanden.

Welcher legendäre Merkel-Satz, verursacht durch einen Hörfehler, geht in Wirklichkeit auf die »Kanzlersouffleuse« zurück?
»Abhören unter Freunden geht gar nicht«.

In Ihrem aktuellen Programm soufflieren Sie der Merkel nicht mehr?
Jetzt bin ich eher so eine Beate Baumann. Das ist die engste Vertraute von Merkel, die graue Eminenz, die dahinter steht. Ich glaube, die sagt so ziemlich alles, was die Kanzlerin zu machen hat.

Also nicht viel.
Die sagt auch: Klappe halten, nichts sagen, lass erst mal die anderen plappern. Wir denken dann, die Kanzlerin sitzt alles aus, aber das ist Unfug. Denn dann kommt der eine Satz. Ich glaube, die Merkel hat super gute Berater, besser als alle anderen.

Die ihr offensichtlich meist zur Zurückhaltung raten.
Ja. Das ist doch super, das kennen wir doch aus dem Osten auch: einfach die anderen reden lassen und dann mit einem Satz kommen. Dass Merkel sich nichts aus Geld macht, sieht man ihr an. Und dass sie sich nicht bereichert: keine bezahlten Urlaube, keine falsche Doktorarbeit, keine Steuerunterschlagung. Darum lieben sie die Leute, glaube ich: weil man mit ihr keine Überraschung erlebt. Die ist so sauber, das schätzen die Leute. Und sie hat gute Berater, die sie da hinführen.

Wie die Kanzlerin kommen auch Sie aus dem Osten. Mitte der 90er Jahre waren Sie die erste ostdeutsche Kabarettistin bei der Münchner »Lach- und Schießgesellschaft«.
Der erste Ostdeutsche war Hans-Jürgen Silbermann. Aber die erste Frau aus dem Osten, ja, das war ich.

Wie fühlten Sie sich aufgenommen von den Kollegen?
Sehr nett. Ich hatte damit kein Problem.

Hatten Sie eine Sonderrolle: »unser Ossi«?
Nein, ganz normal. Wahrscheinlich kommt auch da wieder die Ostgeschichte zum Tragen, dass ich es gewöhnt bin, im Team zu spielen. Mir fiel das nicht schwer, mich in ein Ensemble einzufügen. Ob das heute noch so wäre, weiß ich auch nicht. Es kann sein, ich wäre dafür auch nicht mehr geeignet.

Sie verheimlichen Ihre Herkunft jedenfalls nicht, kokettieren sogar ein bisschen damit. Auf Ihrer Internetseite zum Beispiel prahlen Sie mit der Verleihung des Ordens »Aktivist der sozialistischen Arbeit«.
Da bin ich auch sehr stolz drauf.

Und in der Ankündigung Ihres aktuellen Programms werden Ihnen »russischer Humor und nordkoreanische Machtfülle« zugesprochen. Wie wichtig ist Ihnen der Osten für Ihr Profil?
Russischen Humor und nordkoreanischer Machtfülle, das könnte doch auch ein Kabarettist aus dem Westen für sich in Anspruch nehmen. Ich finde das Bild einfach schön. Dazu kommt, dass der russische Humor sogar biografisch zu mir passt: Meine Oma war Russin. Das weiß keiner, muss auch nicht. Und die Aktivistennadel, die ist ein Augenzwinkern. Natürlich muss auch ein bisschen rüberschwappen von der persönlichen Erfahrung. Wir kennen ein anderes Gesellschaftssystem, das die aus dem Westen alle nicht kennen. Das zu haben, bedeutet eine große Bereicherung. Gleichzeitig war es für mich von Vorteil, dass ich dann in den Westteil gegangen bin. Nun kenne ich beides und kann mir erlauben, von beidem was zu sagen. Die Ossis dürften nicht böse sein, wenn ich was über sie sage, weil ich von da komme, und ich kann viel von ihnen nach drüben tragen. Es ist ein wunderbarer Zustand, nicht in diesem Weinerlichen zu verharren, wo viele Kabaretts nach der Wende geblieben sind: die ewig Betrogenen, wo nichts Neues dazukam.

In Ihren Programmen gehen sie hart mit Politikern ins Gericht. Wenn man Ihnen zuhört, gewinnt man den Eindruck, die wahren Komiker, das seien die Politiker.
So ist es. Sie vergeuden dieses Talent aber sinnlos in der Politik. Die sollten lieber auf die Komiker-Bühne gehen.

Umgekehrt habe ich den Eindruck, in der Kabarettistin Simone Solga schlummere auch ein politisches Talent. Ist an Ihnen eine Politikerin verloren gegangen?
Nein, das wäre nichts für mich. Ich bin überhaupt nicht politisch ambitioniert. Ich gucke bloß mit offenen Augen, was da passiert. Manche mögen sagen, ich dresche auf Politiker ein, aber die halten nun mal den Kopf hin und werden dafür bezahlt und gewählt und stellen sich dem auch. Und wenn mir dann eben einer in der Talkshow irgendwelchen Quark verkauft, dann muss er sich das gefallen lassen. Klar trifft es oft nicht die wirklich Verantwortlichen. Manchmal ist es so, als wenn ich in den Supermarkt gehen und den Verkäufer für das miserable Angebot zusammenscheißen würde. Das tut mir dann auch leid, der kann letztendlich auch nichts dafür. Aber er ist nur mal mein Ansprechpartner.

Erfüllt politisches Kabarett heute eine andere Funktion als in DDR-Zeiten?
Jein. Früher gab es zwei Meinungen, entweder man war dafür oder man war dagegen. So war das auch im Publikum. Heute hingegen gibt es x Meinungen. Der eine wählt FDP, der andere Linkspartei, dieser ist bei der CSU, jener sympathisiert mit der SPD, wenn er auch nicht in der Partei sein muss. Das fächert sich viel mehr. Das ist schon anders. In der DDR wusste jeder, was Sache ist: Im Kabarett wurde gemeinsam über unsere kleinen Schwächen gelacht. Am großen Ganzen aber durfte auch ein Kabarett nicht rütteln. Und heute ist es so, dass man das einfach alles sagen darf. Es wird kein Programmpunkt verboten wie in der DDR, zumindest nicht live, im Fernsehen ist es wieder was anderes. Da gucken die auch genau hin. Dabei ist es doch so: Egal, was das Kabarett macht, es wird sich nichts ändern danach. Ich werde kein System stürzen. Die Leute werden nicht aus meinem Programm rennen und plötzlich anders wählen. Trotzdem funktioniert dieses gemeinsame Lachen wie ein Ventil, eine Befreiung, ein solidarischer Moment.

Sie sprachen mal vom Glück, das Sie empfinden, wenn Sie nach Ausflügen zu Film und Fernsehen zurück auf die Theaterbühne kehren. Was ist Ihnen daran so wertvoll?
Wertvoller ist es für mich, weil es mir mehr Spaß macht, dem Publikum auf der Bühne unmittelbar etwas zu bieten und ein Miteinander mit den Zuschauern zu haben. Beim Film, wo viel wiederholt und nachgedreht wird, ist das eine ganz andere Form der Arbeit. Ich finde es wunderbar, wenn ich live raus muss vor das Volk, und eins zu eins mit den Menschen sprechen kann. Das ist meine Leidenschaft.

Der direkte Publikumskontakt ist Ihnen wichtiger als das Millionenpublikum?
So ist es. Leider kommt man aber ganz ohne Fernsehpräsenz nur schwer dahin, dass man das Haus auch mal voll hat, weil die Leute sich sehr daran orientieren, was im Fernsehen läuft. Aber mein Traum wäre es, nie im Fernsehen auftauchen zu müssen, und die Leute würden einander erzählen, dass man das nur live sehen kann - wie ein Geheimtipp.

Wie wichtig ist es Ihnen, das Niveau zu halten?
Ich will es nicht halten, sondern am liebsten steigern. Wenn man sich als Solist entwickelt, lernt man sich auch selber kennen. Mein Programm, das ich jetzt habe, ist ganz anders als das erste oder zweite. Ich möchte mir die Zeit nehmen dürfen, mich zu finden. Wie mein Programm in zehn Jahren aussieht, das möchte ich erst mal sehen. Es gibt Kabarettisten-Kollegen, bei denen man, wenn man ein Programm kennt, eigentlich alle kennt. Das bleibt auf einem guten Niveau, aber es bleibt. Zum Glück ist es mir bislang gelungen, es immer noch ein Stück anzudrehen. Ja, es ist immer noch eine Steigerung möglich.

Wohin geht die Tendenz?
Ich lasse mich überraschen, weil das mit der Entwicklung meiner Persönlichkeit, die Gott sei Dank noch stattfindet, zu tun hat. Ich nehme aber an, dass die Tendenz zum Ernsthafteren geht. Ich habe immer mehr Mut, auch mal was zu sagen, worüber nicht gleich gelacht wird ...

… das dann aber vielleicht im Nachhinein mehr auslöst?
Vielleicht kommen die ernsteren Botschaften gerade dann stärker an, wenn man vorher viel gelacht hat. Oder man lacht dann wieder stärker, wenn es vorher auch mal ernster war. Dieser Mut, das auszuhalten und auch mal ein bisschen Journalismus reinzubringen, den würde ich mir immer mehr attestieren. Das ist, vielleicht, die Tendenz, nach der Sie fragen: auch mal böse zu sein, frech zu sein, nicht so viel Rücksicht zu nehmen.

Wie wichtig ist es, dass man als Kabarettistin auf der Bühne für eine klar erkennbare Meinung steht?
Das wollen die Leute schon, das ist wichtig. Aber ich werde einen Teufel tun zu erzählen, was ich wähle. Ich möchte mich da nicht einspannen lassen, und die Leute schätzen das auch. Ich bin doch kein Erzieher, der die Leute in eine Ecke schieben will. Das machen viele Kollegen von mir. Die machen bestes Kabarett, das sind die Stars. Das ist ja auch toll, aber die haben eben einen anderen Hintergrund als ich. Ich bin da zu widersprüchlich. Ich sehe in allem immer noch was anderes. Auf den Westerwelle zum Beispiel, da haben immer alle draufgekloppt. Und das ist ja auch beklagenswert. Aber bei mir kommt dann irgendwann ein Punkt, wo ich sage, jetzt will ich das mal brechen und mal das Gute an dem suchen. Immer nur reindreschen, das ist nicht meins.

Preisverleihung am 19.9., 19.30 Uhr, im Berliner Pfefferberg-Theater, Karten unter www.pfefferberg-theater.de oder Tel. (030) 91 20 65 82 88. Vier Mal zwei Freikarten gibt es bei uns zu gewinnen, einfach am 18.9., 9.30 bis 10 Uhr, unter (030) 2978 1111 anrufen.

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