Die Sarangi kehrt zurück

Das traditionelle Instrument der Straßenmusiker Nepals erlebt an Universitäten und auf Bühnen seine Wiedergeburt

  • Pratibha Tuladhar, Kathmandu
  • Lesedauer: 3 Min.
Jahrhundertelang zogen Minnesänger über den Himalaya. Auf den Straßen Nepals ließen sie ihre Instrumente erklingen, doch die Häuser durften sie nicht betreten. Mittlerweile öffnen sich die Türen.

Kiran Nepali entdeckte die Sarangi nicht als Musikinstrument, sondern als Spielzeug. Der heute 30-Jährige mit dem gewinnenden Lächeln wurde in eine Familie von Gandharvas geboren, den traditionellen Straßenmusikanten Nepals. Seit Jahrhunderten ziehen sie mit ihren kleinen Streichinstrumenten von Tal zu Tal des Himalayas. Kirans Vater aber nahm ihm das Holzspielzeug bald weg. Er sollte lieber zur Schule gehen und sich einen Bürojob suchen.

»Mein Vater hatte das Gefühl, dass er im Leben nichts erreicht hat«, sagt Kiran. Die Gandharvas gehörten zu den Ärmsten in Nepal, da sie für ihre gesungenen Geschichten über Liebe und Leid, Krieg und Politik nur kleine Gaben erhielten. Sie standen im Kastenwesen, das im überwiegend hinduistischen Nepal die Gesellschaft bestimmte, ganz unten. »Schon als Kind wurde ich als Unberührbarer behandelt«, sagt Kiran.

Er lernte deswegen Gitarre und unterrichtete in Schulen. Doch die Sarangi - ein nur etwa 30 Zentimeter langes Instrument aus einem einzigen Holzstück, gespielt mit einem Bogen auf vier Saiten - ließ ihn nicht los. »Meine Mutter besorgte mir eine Sarangi, und ich brachte mir das Spielen heimlich selbst bei.«

Heute spielt Kiran das Instrument in der Band Kutumba auf großen Bühnen, manchmal sogar im Ausland. Er holte die Sarangi aus der Schmuddelecke. Außerdem peppte er sie auf: der Klangkörper ist bei ihm größer, besteht aus Hart- statt Weichholz, und anstelle der traditionellen Ziegendärme benutzt er Gitarrensaiten. Das Instrument ruht auf einem selbst entworfenen Ständer.

Ram Bahadur Gandharva hingegen, ein umherziehender Sänger vom alten Schlag, steht beim Spielen nicht. Er kauert hinter dem Instrument. Jeden Tag singt er so sein Lied auf den Straßen, die Sarangi zwischen die Knie geklemmt. Aber die Menschen kommen oft nicht einmal mehr aus ihren Häusern, um ihm zuzuhören. »Dies ist die Welt von TV und Mobiltelefonen«, sagt er. Da sei für ihn nicht mehr viel Platz.

Genau aus diesem Grund suchen sich andere Sänger neue Nischen in der Moderne. Barta Gandharva spielt als erste Frau die ursprünglich nur von Männern gestrichene Sarangi sogar professionell. Dabei begann sie »aus purer Not mit dem Spielen«, berichtet sie. »Mein Vater verschwand aus unserem Leben, als ich acht war.« Ihre schwangere Mutter habe sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihr die Sarangi in die Hand zu drücken. »Mit ihr im Schlepptau habe ich dann quasi gebettelt, um uns durchzufüttern.«

Heute ist die 28-Jährige eine gefeierte Künstlerin. Sie unterrichtet außerdem Studenten, die manchmal sogar Brahmanen sind, also zur höchsten hinduistischen Kaste gehören. »Die Menschen bringen mir mehr Respekt entgegen, seit ich an der Universität lehre«, sagt sie. Sie hofft, dass sie dem uralten Instrument über die institutionalisierte Lehre neues Leben einhauchen kann.

Band-Musiker Kiran strahlt jetzt bereits, wenn er erzählt, wie er sich als Sarangi-Spieler von den alten Fesseln lösen kann. »Früher durfte ich nicht an bestimmte Orte und in Häuser. Die Menschen sprachen abschätzig mit mir. Seit ich die Musik auf der Bühne spiele, nehmen mich die Menschen ganz anders war. Sie laden mich zu sich nach Hause ein. Das ist für mich persönlich der eigentliche Gewinn.« dpa/nd

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