Wer viel redet, gewinnt

Der MTV Stuttgart ist deutscher Blindenfußball-Meister 2014 - für die Spieler kommt es umso mehr auf Sprechen und Hören an

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 3 Min.
Acht Spiele, acht Siege - was nicht einmal Bayern München schafft, hat der MTV Stuttgart in der Blindenfußball-Bundesliga hinbekommen. Die Grundlage der Erfolgsserie ist das kommunikative Miteinander.

Es war ein magischer Moment für Alexander Fangmann. Womöglich wird ihm die Szene vom vergangenen Samstag noch lange im Gedächtnis bleiben. »Ich bin in vollem Tempo die Bande entlang gesprintet«, erzählt der Fußballspieler des MTV Stuttgart. Klingt ganz banal, ist es aber nicht. Zumindest nicht für Fangmann. Denn der Stuttgarter Angreifer ist blind.

Seitdem er acht Jahre alt ist, kann er nichts mehr sehen. Schnelles Laufen oder gar Rennen ist da unmöglich - außer auf dem Fußballplatz. »Für Blinde bedeutet Fußballspielen, eine große Freiheit zu verspüren, die man sonst im Leben nicht hat«, erklärt er. Auch am Wochenende, als der letzte Spieltag der diesjährigen Blindenfußball-Saison in Lübeck auf dem Plan stand, durfte er diese Freiheit wieder erleben.

Zwei weitere Momente werden Fangmann ebenso gern an Lübeck zurückdenken lassen. In der 20. Minute des Spiels gegen die Sportfreunde Blau-Gelb Marburg schoss der Stürmer das 1:0 - es war zugleich das entscheidende Tor im Duell gegen den Tabellenzweiten. Stuttgart wurde durch den Sieg deutscher Meister, so dass Fangmann und seine Kollegen kurz nach dem Abpfiff schließlich die Meisterschale in die Höhe strecken durften.

Die Grundlage des Erfolgs ist, wie Fangmann selbst sagt, die Kommunikation und das Miteinander auf dem Kunstrasen. Da sich die Fußballer gegenseitig nicht sehen, komme es umso mehr auf das Sprechen und Hören an. Da hilft es nicht nur, dass Rasseln im Ball dessen Position akustisch signalisieren. Die Spieler müssen auch wissen, wo Mit- und Gegenspieler stehen. »Wir haben in dieser Saison vermehrt unser Passspiel und einen geduldigen Aufbau eingeübt«, sagt Fangmann. »Wir reden viel miteinander. Aber wir wollen es so lange trainieren, bis wir gar nicht mehr darüber reden müssen - bis jeder ganz genau weiß, wer wo auf dem Platz steht.«

Was in der Offensive gilt, trifft auch auf die Defensive zu: Noch mehr als im Fußball der Sehenden kommt es darauf an, dass die Verteidiger ihre Gegenspieler bestens kennen. Gegen Marburg mussten die Stuttgarter vor allem den besten Torschützen der Liga, Alican Pektas, ausschalten. Der Angreifer erzielte in der abgelaufenen Saison 20 Treffer. »Alican hat einen ganz bestimmten Bewegungsstil«, erklärt Fangmann. »Den haben wir in der Vorbereitung simuliert.« Das intensive Training hat sich gelohnt.

Für Fangmann und die anderen Nationalspieler folgt bald der Höhepunkt des Jahres: die Weltmeisterschaft in Japan vom 13. bis 25. November in Tokio. Eine für Blindenfußballer ungleich schwerere Aufgabe als für die Sehenden, denn auf die noch unbekannten internationalen Gegner kann man sich nicht so gut vorbereiten wie auf die Ligakonkurrenten. Eine Simulation der Bewegungsabläufe ist kaum möglich. »Wir kennen die Nationalspieler vieler anderer Länder einfach nicht, wir haben gegen einige noch nie gespielt«, sagt Fangmann. »Da helfen in der Vorbereitung nur die Erzählungen anderer Leute.«

Doch nach Platz vier bei der EM 2013 reist Fangmann zuversichtlich nach Japan, zumal die Saison mit dem MTV Stuttgart außerordentlich erfolgreich verlaufen ist. Alle acht Spiele wurden gewonnen. Außerdem wurde der neunfache Torschütze Fangmann in Lübeck gemeinsam mit Serdal Celebi von St. Pauli zum »Besten Allrounder« der Liga gekürt. »Wir haben alle schon viel Erfahrung«, begründet Fangmann die Stuttgarter Erfolgsserie. »Deshalb haben wir es geschafft, auch die knappen Führungen über die Bühne zu bringen.« Es bestehe aber noch Luft nach oben: »Wir können uns in unserer Konzentration noch verbessern. Außerdem müssen wir unnötige Fouls in Zukunft verhindern.« Der Erfolgshunger ist also trotz Meisterschaft noch nicht gestillt, der Blick geht schon wieder nach vorn. Die Bundesliga geht im Frühjahr wieder los.

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