Triumph der Hölle mit Zuckerwaffen

Das Käthe-Kollwitz-Museum zeigt Kriegsbildwelten 1914-2014

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den ersten Blick scheint es sich um ein harmloses Schaukelpferdchen aus Buchenholz zu handeln. Auf den zweiten Blick entpuppt sich das Spielgerät allerdings als gesattelter Revolver auf Kufen. Im Hintergrund lächeln uns auf C-Prints die bekannten Comicfiguren Mickey und Minnie an. Doch auch hier folgt die Verstörung auf dem Fuß, handelt es sich doch um Gasmasken. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg befürchteten die Amerikaner weitere Angriffe, vor allem solche mit chemischen Waffen. Da die Gasmasken für Erwachsene viel zu schwer und angsteinflößend für Kinder waren, half Walt Disney, eine «kindgerechte» Version zu entwickeln. Auf riesengroßen Schultafeln zeichnet Kata Legrady mit Kreide das Waffenmodell «Government», das jahrzehntelang zur Standardausrüstung der US-amerikanischen Streitkräfte gehörte.

Angesichts der Objekte von Kata Legrady entsteht beim Betrachter oftmals ein Kippeffekt: Die scheinbare Harmlosigkeit wird von der Künstlerin abgründig aufgeladen. Sie verweist auf die militaristische Propaganda und Unterwanderung, die den Alltag vieler Kinder und Jugendlicher auf der Welt prägen. Das Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße hat einen spannenden Dialog aufgebaut, der das Werk der 40-jährigen Ungarin konfrontiert mit der fast hundert Jahre älteren Kollegin aus Königsberg. So hat Kuratorin Gudrun Fritsch mit Kalkül den Waffen und Masken Kollwitz’ bergende Plastik «Mutter mit Kind über der Schulter» gegenübergestellt. Die Militarisierung von Kindheit und Jugend hat Kollwitz als eine entscheidende Keimzelle des Krieges wahrgenommen. Mehr noch: Sie hat die Konsequenzen bitter erleben müssen, als ihr jüngster Sohn Peter, der mit fliegenden Fahnen in den Ersten Weltkrieg zog, gleich in den ersten Wochen mit nur 18 Jahren in Flandern fiel.

«Es ist süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben.» Mit hehren Worten wurde das Sterben und Töten der Jugend im Ersten Weltkrieg beschönigt. Kata Legrady wurde als Schülerin im sozialistischen Ungarn nicht allein auf einen eventuellen militärischen Einsatz vorbereitet. Mehr noch: Sie musste schwören, im Notfall für das Vaterland zu sterben. Wortwörtlich interpretiert die Künstlerin das «dulce et decorum» in ihrer ersten gleichnamigen Werkreihe, mit der sie 2003 einsetzt: Mit bunten Schokolinsen schmückt sie Kalaschnikows, Tellerminen und das Foto eines kampfeswilligen Kindersoldaten. Was zunächst zynisch erscheint, ist eine Auseinandersetzung mit den Verheißungen, die so viel Unheil nach sich ziehen.

Käthe Kollwitz, die zunächst den Standpunkt von «Gerechter Gewalt» in ihren Bilderzyklen «Ein Weberaufstand» (1893-97) und «Bauernkrieg» (1902/03-08) verfocht, warnt ab dem Ersten Weltkrieg dezidiert mit ihren Figuren vor den vermeintlichen Verlockungen künftiger bewaffneter Konflikte. Wie von einer dämonischen Macht gezogen, taumeln «Die Freiwilligen» in ihrem Holzschnitt von 1920 in das Elend. Flankierend dazu ihr Tagebuch-Eintrag von 1916: Tod fürs Vaterland - das spricht sich so hin. Welche furchtbare Tragödie, welcher Triumph der Hölle verbirgt sich hinter der glatten Maske dieser Worte.« Diese Erkenntnis spiegelt sich noch in Kollwitz’ vorletzter Grafik: »Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden« (1941).

Das Schmeichlerische, das die Freiwilligen zum vermeintlichen Heldentum verführt, thematisiert Legrady, wenn sie Handgranaten mit Nerz- oder Fuchsfell ummantelt. Auffallend ist die Schnittmenge zwischen beiden Künstlerinnen, die jeweils nicht die eigentlichen Kampfhandlungen ins Bild setzen. Stattdessen setzen sie den Fokus auf die Leidtragenden: die Mütter und Kinder. Zugleich wirft Legrady die Frage nach den Schuldigen für das Leid des Krieges auf. Sinnfällig beklebt sie Schusswaffen mit Dollar-, Rubel- oder Yen-Noten, um auf das wirtschaftliche Interesse der weltumspannenden Waffenindustrie hinzuweisen. Patronenhülsen verziert die Ungarin nicht zufällig mit blauen, weißen und roten Zuckersternen, die an die »Stars and Stripes«-Flagge gemahnen. Somit benennt sie eine weitere Quelle kriegerischer Einsätze: den übertriebenen Nationalismus.

Ein starkes Symbol findet Legrady für die brutalen Folgen des Krieges. Im letzten Jahr ließ sie drei Kalaschnikows aus Holz nachbilden. Im Rahmen eines Happenings wurden die Waffen angezündet. Während zwei vollständig verbrannten, blieb eine Nachbildung stark verkohlt erhalten. Das skelettöse Relikt offenbart überdeutlich die Kehrseite des »süßen« Versprechens: Tod und Zerstörung. Im Hinblick auf die Aktualität des Sujets hämmert sie in einer Hommage an Picassos berühmte Friedenstaube die Konturen des Vogels mit Patronenhülsen auf Hartfaserplatte ein.

Mit dem gleichberechtigten Dialog zweier Künstlergenerationen sucht Kuratorin Fritsch nicht zuletzt auch jüngere Generationen anzusprechen. In zwei Ausstellungsräumen des Museums sind daher zum Teil hochengagierte Werke von Schülern ausgestellt, die sich von Kollwitz und Legrady inspirieren ließen. Die Schau zählt zu den packendsten Beiträgen über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Berlin, wo fast jedes Haus einen eigenen Beitrag geliefert hat.

»Käthe Kollwitz - Kata Legrady. Mahnung und Verlockung. Kriegsbildwelten 1914-2014« im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, bis 9. November. Katalog.

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