Ein italienischer Thriller

Die Berliner Ausstellung »Pasolini - Roma« fokussiert den Intellektuellen und Filmemacher

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

In der nächsten Woche geht eine peinliche Geschichte der Zensur zu Ende. Dann erscheint endlich der jahrzehntelang verbotene oder verstümmelte Film »Salò - Die 120 Tage von Sodom«, jene tabulose Tour de Force durch den dekadenten und sadomasochistischen Untergang der italienischen Faschisten-Aristokratie. Passend dazu richtet der Berliner Martin-Gropius-Bau gerade mit »Pasolini - Roma« eine große Ausstellung zum Regisseur jener alptraumhaften De-Sade-Variation aus.

Doch das Museum ist kein guter Ort, um Filme zu schauen. Darum zeigt die Ausstellung auch nur kurze Ausschnitte einer Auswahl von Filmen des italienischen Regisseurs, Autors und Publizisten Pier Paolo Pasolini. Und darum wird hier auch weniger der Regisseur in den Vordergrund gestellt als der Intellektuelle, der Schriftsteller, der Journalist, der Chronist, der Provokateur, der Gejagte, der schwule Lebemann und nicht zuletzt der private Mensch.

Die Ausstellung ist textlastig. Doch die Betonung des intellektuellen Beitrags Pasolinis ist angemessen, war er doch zuallererst Autor: Seine literarischen, romantisierenden Denkmäler für das jugendliche Leben in den verarmten römischen Außenbezirken, »Ragazzi di Vita« (1955) und »Una vita violenta« (1959), waren bereits erschienen, als er 1961 mit »Accatone«, ohne jedes technische Vorwissen, sein Leinwanddebüt zum selben Thema inszenierte. Auch Drehbücher für Mauro Bolognini und Federico Fellini (»La Dolce Vita«) hatte er zu dem Zeitpunkt schon verfasst, die Lyrik im Dialekt seiner Heimat, der norditalienischen Region Friaul, sowieso.

Ein frühes Zitat von Pasolini empfängt den Besucher: »Ich lebte lyrisch wie jeder Besessene.« Und eines tönt am Ende aus einem Kopfhörer, aus der Grabrede für den 1975 Ermordeten von Alberto Moravia: »Vor allem haben wir einen Poeten verloren.«

Zwischen diesen Zitaten: Fotos, Briefe, Videos, Tonbänder, Zeitungsartikel, Interviews, private Devotionalien - Zeugnisse eines prallen Lebens im Zeichen des Skandals, der Anfeindung, aber auch der Solidarität, der Zärtlichkeit. Es war ein Künstlerleben, dem keine Disziplin genügte, das sich der Titelseiten großer Zeitungen ebenso bemächtigte wie der Literaturzirkel oder der (Film- und Maler-)Leinwände. Und das sich bei aller Vielfältigkeit der genutzten Medien doch immer um die Grundthemen Religion, Sexualität und Tod drehte - und um eine manchmal merkwürdig anmutende Faszination für bäuerliche Tradition.

Pasolini lebte im öffentlichen Raum, er tobte sich in der schwulen Stricherszene ebenso aus wie in der Redaktion des »Corriere della Sera«. Seine Geschichte vereint Poesie, Protest, Boheme und die verschwörerischen Abgründe der Mafia, der rechtsradikalen Geheimloge P2 und der großen Politik - und wurde so schon vor dem Mord auf dem Zenit von Ruhm und Schaffenskraft zur Legende.

Ein Leben, ausufernd wie ein Roman. »Wir konnten diese Geschichte Pasolinis, die auch eine Geschichte Roms ist, nur chronologisch erzählen«, sagt Jordi Balló, einer der Kuratoren. Die Gefahr der Verzettelung in Pasolinis zahlreichen Facetten wäre andernfalls zu groß gewesen. Zu reich, zu vielfältig und - weil er auch prophetischer politischer Journalist war - zu aktuell ist das Erbe des Provokateurs, der die italienische Gesellschaft wie wenige andere Kulturschaffende herausgefordert hat.

Darum sollte die Ausstellung auch nicht mit Pasolinis 40. Todestag im nächsten Jahr verknüpft werden. »Dies ist kein Gedenken, Pasolini ist hochaktuell«, so Ko-Kurator Alain Bergala. »Einer der letzten großen europäischen Intellektuellen.«

Und man lässt sich gerne ein auf diesen italienischen Roman, diesen Thriller, zu dem sich die Schau beim Rundgang verdichtet. Kapitel und Schlagwörter gliedern die 25 Jahre von 1950 (Ankunft in Rom) bis 1975 (Ermordung in Ostia). Pasolini und Rom, das sind Szenen einer Hassliebe. Erlöst von der Enge des friaulischen Herkunftsdorfes, erlebt er hier die Freiheit offener Homosexualität, aber auch die engen Fesseln der städtischen Armut. Die Vorstadtghettos, deren Sprachrohr und unangefochtenes Idol er wird, sind für ihn ebenso inspirierend wie frustrierend.

Dazu setzen ihm Klerus und Reaktion mit absurdem Eifer juristisch nach - als (parteiloser) Kommunist und offener Homosexueller ist er ein knallrotes Tuch. Über 30 Mal wurde er angeklagt, wegen »verdächtigen Verhaltens«, »Anstiftung zum Ungehorsam« oder »Diffamierung«. Die Ausstellung zeigt diese verrückte Liste auf einer schwarzen Tafel. Zur Ehrenrettung der italienischen Justiz sei festgestellt: Alle Verfahren endeten mit einem Freispruch. Zudem fachten sie Pasolinis Popularität an und provozierten breite Solidarität der Kulturszene.

Die Schau setzt auf Masse: Es drängen sich Multimedia, Plakate, Objekte wie ein gerichtssaal-erprobter Schneidetisch, die originale Schreibmaschine, der Fiat, mit dem Pasolini seine unerhörte Reportagereise zum Thema Sexualität unternahm. Der wäre nicht nötig gewesen, aber es gibt genug anderes in diesem schwirrenden, scheinbar ununterbrochen produktiven Pasolini-Kosmos zu entdecken.

Schließlich stehen da Ölfässer. Sie stehen für sein letztes, unvollendetes Werk »Petrolio«. Für seine totale Politisierung. Und für die in der Ausstellung »Enttäuschung und Zorn« genannte Phase der politischen Morde, der Radikalisierung. Im November 1974 schrieb Pasolini in legendären, in der Schau in großen Lettern abgedruckten Artikeln: »Ich weiß die Namen der Verantwortlichen für das, was man Putsch nennt«. Er meinte die Hintermänner von Rechts- und unterwandertem Links-Terrorismus. P2, Mafia, ein ominöses »Spitzengremium« - Pasolini wollte sie konkret benennen. Im November 1975 wurde er brutal ermordet. Die Uraufführung seines letzten Films »Die 120 Tage von Sodom« erlebte er nicht mehr.

Bis 5. Januar, Martin-Gropius-Bau Berlin, parallel zur Schau läuft eine Retrospektive im Kino Arsenal.

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