Der Sinn des Scheiterns

»Zimmer frei!« feiert

  • Lukas Wilhelmi
  • Lesedauer: 3 Min.

Am spannendsten - und vielleicht auch bedeutsam dabei - wird Fernsehen, wenn es scheitert. Der Unterschied zwischen Harald Schmidt und Markus Lanz war immer dann am deutlichsten, wenn der Gag nicht funktionierte. So auch im Oktober 2009, als der Satiriker Martin Sonneborn in seiner Funktion als Chef der Partei »Die Partei« bei »Zimmer frei!« aufschlug.

Sonneborn passte nicht ins Konzept. »Es hat hinten und vorne nicht funktioniert, es war einfach nicht lustig«, sagte WDR-Sprecherin Kristina Bausch zu der Sendung, die zunächst im Giftschrank verschwinden sollte und schließlich doch noch im Nachtprogramm zu sehen war. Martin Sonneborn sitzt in jener Sendung im grauen C&A-Stammanzug der »Partei« bei Speis und Trank, spielt ein paar Ratespiele, redet, ohne seine Pointen gesondert zu betonen, und beleidigt Frau Westermann und das Publikum, welches davon hörbar überfordert ist. »Wenn ich Sie im Fernsehen sehen würde, würde ich ausschalten«, ruft Westermann irgendwann. Scheitern trägt einen tieferen Sinn in sich.

Die WDR-Sendung, vom Start weg von Christine Westermann und Götz Alsmann moderiert, feiert am 21. September ihren 18. Geburtstag. In der Sondersendung werden Claudia Roth, Tim Mälzer, Anneke Kim Sarnau und Thomas Hermann zu Gast sein. Alles keine ausgewiesenen Sonneborns.

Der Eklat um Sonneborns Auftritt war eine Ausnahme - üblicherweise werden die 60 Minuten friedvoller bestritten. Schauspieler reden über ihre Kindheit, Politiker über ihr Privatleben und Schlagerstars und Artverwandte bekommen den Raum zu zeigen, dass sie eigentlich gar nicht so uncool sind. Westermann beherrscht die Harmonie, weil sie ihr verschrieben ist. Etwas anderes von ihr zu verlangen, so wie es Sonneborn tat, wäre so, als würde man von Mario Götze Sonetten einfordern. Für Alsmann, der sich mit ewiger Tolle nach all den Jahren weiterhin in der Sidekick-Rolle gefällt, gilt ähnliches.

Die Stärke von »Zimmer frei!« besteht darin, nur selten für Überraschungen zu sorgen. Die Vorhersehbarkeit hat eigentlich nur einen Makel: die Abhängigkeit vom Gast. Manch einer hat viel, manch einer erschreckend wenig zu sagen. Und mancher erzählt viel über sich - ohne es zu merken. Guido Westerwelle zum Beispiel prüfte bei seinem Gastspiel zu Beginn der Sendung die Weingläser auf Sauberkeit und nur wenige Momente später gab er ohne jede Brechung die Phrase von sich, man solle Bücher und Menschen doch »nicht nach dem Einband bewerten«. Es folgen weitere Diskrepanzen und es war völlig unklar, ob da am Tisch nun der Mensch oder der Politiker Westerwelle saß.

Immer wieder schaufelt »Zimmer frei« TV-Mehrwerte wie diese zu Tage, und dies in einer Regelmäßigkeit, wie es sich die Beckmanns und Jauchs nur wünschen können. Und ob diese intendiert sind oder nicht, fragt dabei auch nur der Bedeutsamkeitsbürokrat.

WDR, 21.9., 22.15 Uhr

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