nd-aktuell.de / 22.09.2014 / Politik / Seite 5

Grüne Lockerungsübungen

Partei und Bundestagsfraktion suchen bei einem Kongress nach ihrem Freiheitskonzept

Aert van Riel
Die Grünen wollen künftig als Kraft der Freiheit gelten. Doch was damit eigentlich gemeint sein könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Berlin. Die Fotos im Paul-Löbe-Haus des Bundestags sind allesamt in Schwarz-Weiß gehalten. Darauf zu sehen sind Demonstrationen in Ostberlin, Diskussionen des Neuen Forums, Ausreisewillige, der Fall der Berliner Mauer. Geschossen hat sie der Fotograf Andreas Schoelzel vor genau 25 Jahren. Vor die Besucher, die sich in der kleinen Ausstellung versammelt haben, tritt am Freitag der Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter. Er spricht von dem »schönsten Moment« unserer sonst sehr dunklen deutschen Geschichte. Es dürfe auch nicht vergessen werden, dass die Grünen Wurzeln in der DDR-Bürgerrechtsbewegung hätten. Hofreiter lobt die nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme neu gewonnene Reisefreiheit und das Zusammenwachsen Europas. Er selber sei damals in jungen Jahren begeistert zum ersten Mal nach Polen und in die Tschechoslowakei gefahren. »Die Menschen dort haben aufgeatmet«, sagt Hofreiter.

Doch nicht alle Menschen können sich heute in Europa frei bewegen. Dass soeben sein Parteikollege, der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann, mit der Bundesregierung einen Kompromiss ausgehandelt hat, wonach Deutschland künftig schutzsuchende Roma aus westlichen Balkanstaaten nahezu pauschal abweisen kann, erwähnt Hofreiter nicht. Die Abstimmung im Bundesrat soll offenbar nicht den Freiheitskongress seiner Fraktion überschatten, den Hofreiter eröffnet hat. Der Ärger über den prominenten Parteikollegen aus dem Südwesten, der die Freiheit von Flüchtlingen einschränkt, ist jedoch in kleinen Kreisen bei dem Kongress deutlich zu hören.

Die gut besuchte Veranstaltung dient vor allem der Aufbesserungen des grünen Images. Lockerer, hedonistisch und weniger spießig will die Partei künftig gelten. Es werde keinen erhobenen Zeigefinger mehr geben, raunt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner lächelnd einem Besucher zu. Hofreiter betont, dass es ihn immer nerve, wenn man Rauchern gegenüber betont, wie ungesund Zigarettenqualm ist. »Die wissen das selber und man ändert damit nichts«, so der Nichtraucher Hofreiter. Immer wieder distanzieren sich grüne Spitzenpolitiker zudem von der grünen Idee im letzten Bundestagswahlkampf, einen Veggie Day einzuführen. Als habe tatsächlich der drohende fleischlose Tag in Kantinen massenhaft Wähler davon abgehalten, ihr Kreuz bei den Grünen zu machen.

Für ihren Freiheitskongress nimmt sich die Bundestagsfraktion einen ganzen Tag Zeit. In den Foren geht es etwa um das Verhältnis von Öko und Freiheit, die Bürgergesellschaft (freie Schulen, Kinderläden) und Freiheit vom Optimierungszwang, um Überlastung entgegenzuwirken und einen Burnout zu verhindern. Völlig unterschiedliche Themen also, mit denen man Freiheit assoziieren kann. Die Ko-Fraktionsvorsitzende und evangelische Kirchenfrau Katrin Göring-Eckardt verweist in ihrer Rede auf Martin Luther. Zwar müsse Freiheit für jeden gelten. Dies bedeute aber auch, dass man Verantwortung in der Gemeinschaft übernehmen müsse. Es braucht nicht lange, bis sie auch auf die Situation in der Ukraine zu sprechen kommt. Hier treffen aus ihrer Sicht offenbar die freie und die unfreie Welt aufeinander. Nämlich Russland, dessen Präsident Wladimir Putin Göring-Eckardt zuletzt immer wieder als »Diktator« bezeichnet hatte, und das »Friedens- und Freiheitsprojekt Europa«.

Diese Schwarz-Weiß-Bilder malen auch andere Grüne. Ralf Fücks, Vorstand der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung, bringt einen neuen Begriff in die Freiheitsdebatte. Er wünscht sich eine freiheitliche Außenpolitik der Grünen. Fücks kritisiert, »wie wenig Empathie es in weiten Teilen der Republik für den freiheitlichen Aufbruch gibt, der sich in der Maidan-Bewegung manifestierte«.

Angesprochen auf dieses Anliegen von Fücks, ist der eher Parteilinke Hofreiter bei der Abschlussdiskussion auf der Hut. Aus seiner Sicht ist es wichtig, sich in der Außenpolitik mit den Machtverhältnissen auseinanderzusetzen, auch in der Ukraine. »Man muss eine Balance finden zwischen einer werteorientierten und einer realistischen Außenpolitik«, sagt er. Vorsicht sei hier geboten. Denn in den USA sei diese Debatte irgendwann bei den Neokonservativen gelandet. Im Irak kann heute noch beobachtet werden, welchen Schaden eine Politik anrichten kann, die offiziell proklamiert, der »Freiheit« zum Sieg verhelfen zu wollen.

Es wirkt oft so, als wollten Einzelpersonen oder Flügel in der Partei ihre Interpretation des Freiheitsbegriffs nutzen, um für den eigenen Kurs zu werben. Die Grünen haben übrigens unfreiwillig ein passendes Symbolbild für ihre Veranstaltung gefunden: Ein einsamer Cowboy reitet durch eine felsige Landschaft. Einen gemeinsamen Weg hat auch die Partei noch nicht gefunden.