Tunnelblick auf ein Megaprojekt

Ein Plan der CDU gegen die Lärmbelästigung durch Züge in Rüdesheim stößt auf Kritik

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Debatte um die Eindämmung der von Güterzügen ausgehenden Lärmbelästigung im Mittelrheintal ist nun auch ein Tunnelprojekt im Gespräch, das alle Rekorde zu brechen verspricht.

Dieser Tage lud der örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch einen erlesenen Kreis von Initiativen, Planern und Lobbyisten zu einem sogenannten »Gipfel« in das Rheingaustädtchen Rüdesheim in Hessen ein, um Pläne für einen mehr als 100 km langen durchgehenden »Basistunnel« vom Rheingau bei Wiesbaden bis in den Raum Köln/Bonn zu erörtern.

Der Tunnel durch den Taunus und Westerwald könnte alle europäischen Rekorde brechen. Er wäre gut doppelt so lang wie der Kanaltunnel von Frankreich nach England oder der neue Gotthard-Basistunnel in der Schweiz. In dem engen Tal der Loreley mit Weltkulturerbe-Rang und je einer Bundesstraße und einer zweigleisigen elektrifizierten Bahnstrecke auf beiden Seiten beklagen sich die Anwohner seit vielen Jahren über Lärm und Vibrationen, die von den vor allem bei Nacht in dichtem Takt durchfahrenden schweren Güterzügen ausgehen. Die Strecke ist nicht nur die wichtigste Nord-Süd-Verbindung zwischen Süddeutschland, Rhein-Ruhr und Benelux-Ländern. Sie ist ein zentrales Nadelöhr auf dem europäischen Güterverkehrskorridor von Genua nach Rotterdam. Derzeit passieren täglich schätzungsweise 400 Güterzüge das Tal.

Die Rheintalstrecke stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde mit Sicherheit nicht für ein derart hohes Verkehrsaufkommen im 21. Jahrhundert geplant. In den von Einwohnerschwund geplagten historischen Ortschaften sind nach Angaben von Immobilienbesitzern viele Häuser unverkäuflich und unvermietbar. Im Gegensatz zur 1991 in Betrieb genommenen Neubaustrecke von Würzburg über Fulda und Kassel nach Hannover ist die seit den 1980er Jahren projektierte und 2002 in Betrieb genommene Hochgeschwindigkeitsstrecke von Frankfurt am Main über Limburg nach Köln indes nur für moderne ICE-Baureihen und nicht für den nach wie vor durch das Rheintal donnernden nächtlichen Güterverkehr ausgelegt. Daher sind seit geraumer Zeit auch Pläne für einen kompletten Neubau einer weitgehend oberirdisch verlaufenden Trasse abseits des engen Rheintals im Gespräch.

Der Tunnelvorstoß des CDU-Manns findet bei den Anwohnern indes keine ungeteilte Zustimmung. Kritiker verweisen nicht nur auf die mit einem Tunnelbau einhergehenden jahrzehntelangen ökologischen Belastungen für die gesamte Region. Seit 1911 (!) wird selbst ein bescheidenes, wenige Kilometer langes Tunnelprojekt zur Entlastung des stark frequentierten Touristenmagnets Rüdesheim aus finanziellen Gründen auf die lange Bank geschoben. Ob angesichts prognostizierter Kosten für das milliardenschwere Megatunnelprojekt Bund und EU für eine Finanzierung aufkämen, sei fraglich, so Karl Ottes, Kreisbeigeordneter im Rheingau-Taunus-Kreis und Sprecher des Rheingau-Bundes gegen Bahnlärm. Die Anlieger bräuchten »jetzt und nicht erst in der nächsten oder übernächsten Generation eine Lösung des drängenden Bahnlärmproblems«, sagt Ottes. Wenn der Gesetzgeber nur wolle, könne er mit Sofortlösungen etwa durch Tempolimits und Nachtfahrverbote für laute Güterwaggons sofort für eine Linderung sorgen.

Weitere, seit Jahren geforderte und langsam umgesetzte Maßnahmen für einen aktiven und passiven Lärmschutz sind Bauten entlang der Trasse sowie Flüsterbremsen bei den Güterwaggons. Hier gelobt die Deutsche Bahn (DB), das Rollmaterial ihrer Güterbahn DB Schenker Rail bis 2020 entsprechend umzurüsten. Neben der DB gibt es jedoch bundes- und europaweit zahlreiche andere Güterbahnen und private Wagenhalter, die mitspielen müssen.

»Möchte Willsch mit seinem Tunnelprojekt vor allem der Tunnelbauindustrie nach dem Projekt Stuttgart 21 Anschlussaufträge erschließen?«, fragt sich Karl-Heinz Bäuml von der Rheingauer LINKEN. Der CDU-Mann lenke davon ab, dass die im Juli von der Großen Koalition im Bundestag beschlossene Neufassung der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung einer »Lärmschutzverhinderungsverordnung« gleiche und durch Zugeständnisse an die Industrie den Lärmschutz faktisch aufs Abstellgleis gestellt habe. Es zeige sich erneut, »dass die Bedürfnisse der Menschen für die Große Koalition keine hohe Priorität« hätten, so Bäuml.

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